Schon in jungen Jahren waren Sie von Kunst begeistert und sind es bis heute geblieben. Haben Sie die Kunst gefunden oder ist es umgekehrt gewesen?Maria Wanda Milliore: Von beidem etwas. Meine Mutter kannte den Kunstmaler Gustav Klimt persönlich, das familiäre Umfeld insgesamt war der Kunst zugewandt. Schon als Kind zeichnete und malte ich oft und viel. Später dann, als Gymnasiastin, besuchte ich fast alle Vorstellungen am Wiener Burgtheater. Dort wurde mir mehr und mehr klar: Diese Theaterwelt begeistert mich, da will ich hin.
Wie ging es weiter?Zunächst wollte ich eine weltberühmte Schauspielerin werden. Aber Weltberühmtheit zu erlangen, ist gar nicht so einfach. An der Wiener Kunstakademie absolvierte ich dann die Meisterschule für Bühnenbildnerei und machte mein Diplom und nebenher die Schauspielprüfung.
Wie gingen Sie als Künstlerin mit den Repressionen während der Nazi-Diktatur um?Uns Künstlern fehlte beim nordisch-arischen Ideal der Nazis das Exotische. Wir haben uns einfach wenig um Adolf Hitler gekümmert und gesagt, wir verstehen eh nix von Politik. Wir wollten Kunst machen und unsere Arbeit.
Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs verließen Sie Wien. Was war der konkrete Grund? Für junge Frauen wie mich, war es nicht empfehlenswert, in Wien zu bleiben. Wir befürchteten Vergewaltigungen durch die näher rückende Rote Armee. Die Annahme hat sich leider in vielen Fällen bestätigt. Und so flüchteten wir zu Fuß oder an Wagen der Krankentransporte festhaltend, Richtung Westen und landeten über Innsbruck kommend in Bregenz.
Können Sie uns Einblicke in die damaligen Umstände geben?Es waren schwierige Zeiten direkt nach dem Krieg, Lebensmittel waren knapp. Auf unserer Fluchtroute von Wien nach Bregenz hingen erhängte Soldaten an den Bäumen, die zuvor Schreckliches mitgemacht hatten. Mein Rucksack auf dem Rücken war alles, was ich besaß.
Das hört sich fast apokalyptisch an. „Wir schaffen das!“, war unser Motto. Die Menschen lebten irgendwie bescheiden und wurden allmählich zukunftsfroh. Die Jugend war ungestüm und sicher, der Welt den Hax‘n ausreißen zu können. Und es kam wieder eine Sehnsucht nach dem Schönen auf, man suchte das Ideal, wollte Neues schaffen.
Wie kam es 1946 zur Mitarbeit bei der ersten Bregenzer Festwoche, der Vorläuferin der heutigen Festspiele?Am Vorarlberger Landestheater spielte ich verschiedene Hauptrollen, sang und tanzte, arbeitete aber gleichzeitig auch als Bühnen- und Kostümbildnerin. Dessen Leiter und Festspiel-Mitbegründer Kurt Kaiser fragte mich, ob ich das Bühnenbild für Bastien und Bastienne gestalten möchte. Was aus ihm wurde, weiß ich gar nicht mehr.
Nicht nur Lebensmittel, auch Werkstoffe waren knapp. Mussten Sie improvisieren?Ja, oft. Arbeit gab es jedenfalls mehr als genug. Am Landestheater nähten wir oftmals bis in die Nacht vor den Premieren an den Kostümen. Ich war deswegen meistens unausgeschlafen. Weil wir an verschiedenen Orten gastiert hatten, mussten meine Bühnen-Dekorationen überall hinpassen. Ich war also unterschiedliche Anforderungen gewohnt.
Wie kamen Sie zur Bühnenbild-Idee mit einer Art Ornamentik auf den beiden Booten?Nun ja, die beiden Schotterkähne dümpelten im kleinen Hafen vor sich hin. Ich hatte Grundrisse bekommen und dann die technischen Zeichnungen geschaffen. So wird’s hübsch und außerdem kostet es nicht viel, hab ich mir halt gedacht. Bis heute ärgert mich ein wenig, dass auch ein Bühnenteil am unteren Teil des vorderen Kieskahns befestigt wurde, das nicht mit meinen Zeichnungen übereinstimmte. Aber das ist jetzt nicht mehr so wichtig.
Können Sie sich erinnern, wer damals die Fäden der Festspielgründung in der Hand hatte?Nun, bei den Sitzungen, wo es ums Geld ging, war ich nie dabei. Aber was das Spiel auf dem See betrifft, so waren mein Partner Alf Stäger, der Solotänzer der Wiener Staatsoper Kurt Kaiser und ein junger Medizinstudent namens Ivo Fischer stark involviert. Kurt Kaiser hatte wohl die erste Idee mit dem See. Ich kann mich aber nicht mehr genau erinnern.
Mehr als 80 Prozent der ersten Festspielgäste stammten aus der Schweiz. Wie haben Sie die Nähe zum Nachbarland wahrgenommen?Insofern als ich seit Langem einmal wieder weißes Mehl und Schlagobers gesehen habe, die
offenbar aus der Schweiz mitgebracht wurden. Wir haben uns sehr gerettet gefühlt dort im
äußersten Westen. Auch schenkten uns die Schweizer Festspiel-Gäste Schokolade.
Sie sind die erste, aber bislang einzige Bühnenbildnerin am See.Nach meinem Engagement übernahmen Männer die Bühnenbildgestaltung. Das fand ich schade. Ich habe vier Kinder bekommen, die ich teilweise alleine erziehen musste. Ich habe sogar noch gespielt, als ich hochschwanger mit meiner zweiten Tochter war. Das Kostüm musste jede Woche weiter gemacht werden (lacht).
Haben es Frauen also schwerer in dem Beruf ?Ich darf aus meiner Rolle in Die bestrafte Spröde zitieren: „Die Welt kannst Du nicht verändern, auch wenn Du es glaubst. Ein Mann bleibt ein Mann bleibt ein Mann.“
Sie haben viel erlebt, auch viel erleiden müssen. Wir sehen Sie hier in guter Verfassung und voller Optimismus. Wie schafft man das?Glauben Sie mir: Das Leben ist anstrengend bis zum Schluss. Aber auch schön. Und deswegen sollten wir stets „Danke“ sagen (lacht).
Das Interview stammt aus der in wenigen Tagen erscheinenden Ausgabe des Magazins "Festspielzeit". Über untenstehenden Link können Sie es als PDF-Kopie runterladen.
21.6.16
(ar/sb)