Nur noch wenige Wochen sind es, bevor Samiel der Teufel wieder die Wolfschlucht heimsucht, Max in Verzweiflung Freikugeln gießt und Agathe sehnsuchtsvoll die Ankunft ihres Geliebten erwartet: Ab 17. Juli geht Der Freischütz auf der Bregenzer Seebühne in seine zweite Saison. Für Max Koch und Daniel Hackenberg, Regieassistenten und Abendspielleiter des Spiels auf dem See, und für den gesamten Cast haben heute, Mittwoch, die Proben begonnen.
Max Koch und Daniel Hackenberg haben im Juni und Juli vergangenen Jahres gemeinsam mit Regisseur Philipp Stölzl sowie den Solist:innen, Stuntleuten und Techniker:innen den gesamten Ablauf der Oper erarbeitet. In enger Zusammenarbeit mit dem Regisseur war Max Koch dabei das „Gedächtnis der Inszenierung“: Im großen Regiebuch, das alle Regieassistent:innen während der Proben stets im Arm tragen, hat er handschriftlich und minutiös alle Anweisungen, Absprachen und Details der Inszenierung notiert und den gesamten szenischen Verlauf dokumentiert. „In diesem Sommer bin ich dafür verantwortlich, die Oper für die Wiederaufnahme ganz im Sinne von Regisseur Philipp Stölzl wiederherzustellen“, sagt Max. Während des Jahres ist er als Regieassistent an der Oper Frankfurt engagiert, assistiert regelmäßig an der Bayerischen Staatsoper, betreut Wiederaufnahmen – und realisiert zunehmend auch eigene Inszenierungen.
Daniel Hackenberg, der seit Andrea Chénier 2012 an jeder Seebühnenproduktion beteiligt war, hält im Hintergrund die Fäden zusammen. In enger Absprache mit Max, der meist direkt an der Seite von Regisseur Philipp Stölzl auf der Bühne steht, koordiniert Daniel von der Tribüne aus, was Cast, Stunts, Technik, Requisite und Bühnenbild benötigen. Er organisiert Umbauten, reagiert auf Unvorhergesehenes – sei es eine fehlende Requisite oder ein zusätzlicher Dirigentenmonitor für eine bestimmte Szene. Seine Aufgabe: Möglich machen, was sich im Lauf der Proben als notwendig erweist – sicher, schnell, präzise.
Nach Stationen an der Staatsoper Wien und im betrieblichen Gesundheitsmanagement arbeitet Daniel heute in der Betriebsberatung. Das verschafft ihm mehr Zeit für seine Familie – etwas, das im künstlerischen Alltag oft kaum möglich ist. Die Seebühne ist geblieben: als sein einziger künstlerischer Fixpunkt. „Es ist eine andere Welt – und doch gibt es Parallelen: Planung, Kommunikation, psychologisches Gespür.“
Zwischen Freiheit und Konzept
Im Theater ist es üblich, dass Regisseure bei Wiederaufnahmen nicht durchgehend anwesend sind. In Bregenz agieren Max und Daniel in den kommenden Wochen als Philipp Stölzls Stellvertreter – im organisatorischen wie im künstlerischen Sinn. „Wir sind hier gewissermaßen die Anwälte seiner Ideen und stimmen uns eng mit ihm ab“, sagt Daniel.
Auf der Seebühne teilen sich bis zu drei Sänger:innen eine Rolle. 27 Vorstellungen in knapp fünf Wochen wären für eine Person schlicht nicht zu bewältigen. Doch wie läuft das im zweiten Jahr? Wissen alle, die zurückkehren, noch, was zu tun ist? „Manche erinnern sich an nichts, andere kommen, als wäre keine Nacht vergangen“, sagt Max, und Daniel ergänzt: „Hinzu kommen neue Sänger:innen, die im vergangenen Sommer noch nicht dabei waren. Mit ihnen werden Max und ich in den kommenden drei Wochen die Rollen Schritt für Schritt erarbeiten.“
Die Sänger:innen bewegen sich in der Freischütz-Inszenierung in knietiefem Wasser, kämpfen mit dem Wind und den großen Distanzen der riesigen Freilichtbühne – und sollen dennoch so präzise und lebendig spielen, dass die emotionale Dichte des Kammerspiels auch am Bodensee spürbar bleibt.
„Kommunikation, Vertrauen und Klarheit sind das A und O in unserer Zusammenarbeit mit den Sänger:innen“, sagt Max. „Einige brauchen ein klares Raster, andere leben vom Freiraum.“ Der Freischütz auf dem See funktioniert nur, wenn Struktur und Spontaneität im Gleichgewicht sind. „Unsere Aufgabe ist es, alle Darsteller:innen in ein System einzubetten, das zugleich offen und verlässlich bleibt.“ Philipp Stölzl legt sehr viel Wert darauf, dass die Sänger:innen ihre Rollen nicht nur ausfüllen, sondern sich ganz zu eigen machen: „Wir wollen, dass alle ihre Rollen für sich stimmig gestaltet – natürlich im Rahmen des Konzepts.“
„Wie beim Fahrradfahren lernen“
Die beiden Freischütz-Regieassistenten geben den Darsteller:innen technische Sicherheit, emotionales Vertrauen, helfen bei Einsätzen und unterstützen etwa die drei Sopranistinnen, die die Partie der Agathe singen, dabei, ihre Arie im zweiten Akt trotz des langen Wegs auf den hohen Bühnenhügel stimmig und ausdrucksstark zu gestalten. „Wir sorgen dafür, dass sich die Sänger:innen vollkommen sicher fühlen – dann können sie mit großer Freiheit singen und spielen“, sagt Daniel. „Aber manchmal, wenn es gefährlich werden könnte, sagen wir auch ganz klar: Stopp!“, Die beiden lachen. „Eigentlich sind wir wie Eltern: Wir ermutigen die Sänger:innen, in diesem ungewöhnlichen Raum etwas auszuprobieren – und ziehen Grenzen, wenn es zu riskant wird. Wie Mama und Papa, wenn die Kinder Fahrradfahren lernen“, sagt Daniel mit einem Augenzwinkern.
Wind, Wetter und Wasser sorgen auf der Seebühne für einzigartige Momente – und sind zugleich die größten Gegenspieler der Inszenierung. „Eine Probe hier draußen ist um vieles anstrengender als in einem Opernhaus“, resümiert Daniel. Der Aufwand, die Technik, das Wetter, die Wege – alles ist größer, komplexer, fordernder. Der zweite Sommer bietet die Chance, die Regiearbeit zu schärfen und zu vertiefen. „Es ist derselbe Freischütz wie im letzten Jahr – aber vielleicht gereifter und dadurch noch lebendiger.“
Was Regieassistent:innen leisten, bleibt meist im Verborgenen – und doch sind sie das Rückgrat einer jeden Produktion. „Wenn wir unseren Job gut machen, merkt niemand, dass wir überhaupt da waren“, sagt Daniel. „Was jedoch wirklich zählt, sind die menschlichen Momente. Etwa, wenn wir einem Sänger in einer schwierigen Situation intuitiv helfen können: Wenn ein Solist blind zur richtigen Requisite greift, weil wir ihn zuvor präzise und geduldig darauf vorbereitet hat. Wenn Sängerinnen – wie etwa 2019/21 die drei Gildas im Rigoletto-Ballon – sich etwas trauen, was sie noch nie zuvor gewagt haben, weil sie wissen: Da ist jemand, der auf sie aufpasst. Auf der Seebühne geht es um Vertrauen, um Respekt – und um das Bewusstsein, gemeinsam an etwas zu arbeiten, das größer ist als jede:r Einzelne.“
(bk)