Bregenz, 20.08.10. Ein kühler Sommer, ein sehr gut besuchtes Spiel auf dem See, ein gefeierter Schwerpunkt: So lassen sich die Bregenzer Festspiele 2010 kurz zusammenfassen. Das Spiel auf dem See Aida wird sich mit insgesamt 345.807 Besuchern in zwei Jahren als die mit Abstand bestbesuchte Oper auf der Seebühne in der Geschichte des Festivals herausstellen, sofern alle verbleibenden drei Vorstellungen unter freiem Himmel stattfinden können. Auf die aktuelle Saison entfallen dabei 144.549 Besucher, dies entspricht einer Auslastung von 85 Prozent. Mit insgesamt 195.413 Menschen wäre das auch die höchste Gesamtbesucherzahl in einem zweiten Opernjahr bei einer Gesamtauslastung von 85 Prozent. Die 65. Bregenzer Festspiele dauern noch bis Sonntagabend, Restkarten sind verfügbar.
Als beeindruckender Erfolg hat sich auch der Schwerpunkt rund um die Werke des vergessenen polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg (1919 - 1996) erwiesen: Das Publikum kam in Scharen, die Kritik war begeistert und die Koproduktionspartner für seine Oper Die Passagierin stehen beinahe schon Schlange.
"Zugkraft unter Beweis gestellt"
"Die Faszination Bregenzer Festspiele hat mit ihrer Kombination aus populärer Oper am See einerseits und einem mutigen und kantigen künstlerischen Profil andererseits in diesem Sommer erneut große Zugkraft bewiesen: Neben der aufsehenerregenden Weinberg-Wiederentdeckung war es wiederum
das Spiel auf dem See Aida, das bei weitem die meisten Besucher angezogen hat", lautet die erfreuliche Bilanz von Festspielpräsident Günter Rhomberg. "Nun gilt es, diesen Schwung mit in den kommenden Sommer zu nehmen und ihn für Umberto Giordanos packende Revolutionsoper André Chénier ideal auszunutzen."
Außergewöhnliche Aida trotzt einem kühlen Sommer
Erstmals wurde in den vergangenen zwei Sommern auf der Bregenzer Seebühne Giuseppe Verdis monumentale Oper Aida gespielt - ohne Pyramiden, dafür mit blauen Füßen und riesigen Kränen, was dem Zuspruch von Publikum und Kritik aber keinen Abbruch tat - im Gegenteil: 345.807 Menschen werden in zwei Jahren das Spiel auf dem See in insgesamt 54 Vorstellungen gesehen haben, was Aida zur mit Abstand bestbesuchten Oper in der Geschichte der Bregenzer Festspiele macht.
In einem von sehr kühlem und nassem Wetter geprägten Sommer hatte Verdis Werk dennoch Wetterglück: Nur zwei von 26 Vorstellungen mussten von Anbeginn an im trockenen Festspielhaus stattfinden, zweimal blieb Künstlern und Publikum während der Vorstellung nur die Flucht vor dem Regen übrig.
Passagierin als Publikumsmagnet
Ein stolzer Intendant David Pountney kann auf eine außergewöhnliche Saison 2010 zurückblicken: "Den Bregenzer Festspielen ist es gelungen, den polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg mit der szenischen Uraufführung seiner Oper Die Passagierin, der österreichischen Erstaufführung von Das Portrait sowie mit der Präsentation zahlreicher Orchester- und Kammermusikwerke und einem eigenen Symposium 14 Jahre nach seinem Tod im Jahre 1996 eindrucksvoll in den Mittelpunkt zu rücken."
Weinbergs Oper Die Passagierin rund um die Beziehung einer ehemaligen SS-Aufseherin und einer Auschwitz-Gefangenen, die auf der Novelle der heute 86jährigen polnischen
Auschwitzüberlebenden Zofia Posmysz basiert, habe eindrucksvoll gezeigt, wie ein vermeintlich "schwieriges" Werk zu einem Publikumsmagneten werden könne, so Pountney weiter.
"So schnell wird dieser bis dato vergessene Komponist auch nicht wieder von den Spielplänen verschwinden, denn allein seine Oper Die Passagierin wird in den kommenden Jahren dank zahlreicher Koproduktionspartner in aller Welt zu sehen sein. Wir sind ein Wagnis eingegangen und haben uns als erfolgreiche 'Entwicklungshelfer' betätigt - und genau das sollen Festspiele sein!" ist Pountney überzeugt.
Die vier Vorstellungen der Oper im Festspielhaus Die Passagierin sahen 5.650 Menschen, das entspricht einer Auslastung von 91 Prozent.
"Aida hat Erwartungen übertroffen"
"Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass dies, was die Wetterverhältnissen betrifft, kein idealer Sommer für uns war", merkt der kaufmännische Direktor der Bregenzer Festspiele, Michael Diem, an. "Umso erfreulicher ist es zu sehen, dass das Spiel auf dem See Aida dennoch unsere hohen Erwartungen sowohl künstlerisch als auch finanziell übertroffen hat. Wir liegen sehr gut im Budget, unsere Situation
ist überaus solide und wir freuen uns schon auf den nächsten Sommer!"
Neue Programmschienen Festspiel-Filmwoche und Musik&Poesie
Der "Kulturrausch" am Bodensee begann in diesem Jahr bereits Ende Juni - vier Wochen vor der offziellen Eröffnung: Basierend auf der Festspielthematik "In der Fremde" und dem Schwerpunkt rund um den polnisch-russischen Komponisten Mieczysław Weinberg präsentieren die Bregenzer Festspiele von 23. bis 27. Juni 2010 eine Filmwoche im Metro Kino Bregenz. In Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems und dem Filmforum Bregenz zeigten die Bregenzer Festspiele an fünf Tagen fünf Filme, die sich wie Weinbergs Oper Die Passagierin mit den verschiedensten Versuchen beschäftigten, den Holocaust zu verarbeiten und zu bewältigen.
Weinbergs umfangreiches Kammermusikwerk hat darüber hinaus zum Entstehen einer weiteren neuen Programmreihe beigetragen: Im Rahmen von Musik&Poesie präsentierten die Bregenzer Festspiele an vier Terminen im Seestudio neben Weinbergs Musik auch Gedichte russischer Autoren rund um die Thematik "In der Fremde".
Überzeugendes Portrait im Theater am Kornmarkt
Im Theater am Kornmarkt konnte Regisseur John Fulljames das zweite große Weinberg-Werk des diesjährigen Sommers, die satirische Oper Das Portrait nach einer Kurzgeschichte von Nikolai Gogol, überzeugend umsetzen: In einem Bühnenbild bestehend aus Spiegeln und gewitzten Video-Projektionen gelang eine teils humorvolle, teils absurde Zeichnung dieser Geschichte rund um einen jungen Künstler in Gewissensnöten. Das Portrait erreichte in drei Aufführungen 1.315 Besucher bei einer Auslastung von 86 Prozent.
Weinberg Raritäten im Rahmen der Orchesterkonzerte
Die Orchesterkonzerte der Wiener Symphoniker und des Kammerorchesters MusicAeterna der Oper Nowosibirsk waren ebenfalls Teil des umfangreichen Weinberg-Schwerpunkts und präsentierten eine erlesene Auswahl seiner beeindruckendsten Werke. Am Pult der Wiener Symphoniker gab es ein Wiedersehen mit dem dem Bregenzer Festspielpublikum bestens bekannten russischen Dirigenten Vladimir Fedoseyev, der ein enger Freund des Komponisten Mieczysław Weinbergs gewesen war. 6.217 Besucher konnten bei den Konzerten gezählt werden, das entspricht einer Auslastung von 91 Prozent.
Deutsches Theater Berlin wieder in Bregenz
Nachdem das Deutsche Theater Berlin den Festspielbesuchern bereits in den 1990er
Jahren zahlreiche unvergessliche Theaterabende beschert hat, kehrte es in diesem
Sommer unter seinem neuen Intendanten Ulrich Khuon, ehemals künstlerischer
Leiter des in Bregenz ebenfalls bestens bekannten Thalia Theaters, an den
Bodensee zurück. Zum Auftakt der neuerlichen Zusammenarbeit brachten die
"Berliner" einen Klassiker, Joseph Conrads Herz der Finsternis, und ein
neues Stück Gegenwartstheater, Lukas Bärfuss' Öl, an den Bodensee. 1.342 Menschen haben die drei Vorstellungen von Herz der Finsternis gesehen, was einer Auslastung von 92 Prozent entspricht. Öl mit Nina Hoss steht noch bis Samstag auf dem Spielplan.
Bejubelte Uraufführung im Rahmen von Kunst aus der Zeit
Parallelen zu Weinberg taten sich in diesem Sommer bei der zeitgenössischen Reihe Kunst aus der Zeit auf,
hatte doch die Oper Jacob's Room des amerikanischen Elektronikpioniers
Morton Subotnick ein ähnliches Schicksal erlitten wie WeinbergsPassagierin: Statt auf einer Bühne landete das in den 70er Jahren
komponierte, multimediale Werk im Regal und konnte seine bejubelte, szenische Uraufführung
erst am 5. August im Rahmen von Kunst aus der Zeit auf der Werkstattbühne feiern.
Erfolgreich war auch die weitere Produktion des Sommers 2010 Out of Context - for Pina des bekannten belgischen Choreographen Alain Platel, der mit seiner
Ballettkompanie C de la B auf der Werkstattbühne gastierte, während Traumzeit und Traumdeutung, Jorge E. Lópes "sinfonische Aktion für den
Bergraum" vom Wetterpech verfolgt war. Nachdem man die Aufführung bereits um einen Tag verschoben hatte, hatte der Alpenwettergott auch am 25. Juli kein Einsehen: Ort des Konzerts war schlussendlich nicht der idyllisch auf über 1900 Meter
Höhe gelegene Formarinsee bei Lech am Arlberg, sondern die Tennishalle im Ort.
Gut besucht waren auch die KAZ-Konzerte, die im Kunsthaus Bregenz und im Seestudio des Festspielhauses das Festpielthema "In der Fremde" aus etwas anderen Blickwinkeln beleuchteten, sowie die Veranstaltungen der "KAZ-Late-Night", darunter ein Konzert mit Morton Subotnick am original Buchla-Synthesizer und Live-Visuals des Videokünstlers Lillevan.
Insgesamt kamen zu den Veranstaltungen von Kunst aus der Zeit 2.209 Besucher, das entspricht einer Auslastung von 87 Prozent.
crossculture mit umfangreichem Programm und vielen Besuchern
Das andere "Festival im Festival", die Jugendreihe crossculture, konnte auch in diesem Jahr mit einem sehr umfangreichen und vielseitigen Programm, das vom Fest des Kindes und von Opern- und Bandworkshops über die Konzerte für Familien und Schulklassen rocky roccoco und Saiten! bis hin zur Aida-crossculture night reichte, Besucher und Teilnehmer überzeugen. Insgesamt ließen sich 6.647 Kinder und Jugendliche von Oper, Bühne und Musik begeistern.
(bk)