Bregenz, 13.04.11. Ein Toter in der Badewanne, den man doch schon irgendwo einmal gesehen hat: So präsentiert sich die neue Seebühne für André Chénier am Bregenzer Bodenseeufer. Wer aber ist dieser Tote? Und warum liegt er nicht mehr in einer Badewanne, sondern im Bodensee?
Revolutionsgemälde als Inspiration
Regisseur Keith Warner und Bühnenbilder David Fielding wählten Der Tod des Marat, das bekannteste Gemälde des Revolutionsmalers Jacques-Louis David, als Basis, Inspiration und Symbol für ihre Inszenierung von André Chénier, Umberto Giordanos leidenschaftliche Oper rund um das Schicksals des gleichnamigen Dichters. Erstmals ähnelt das Bühnenbild das Spiel auf dem See somit einer historischen Darstellung.
Wer aber war dieser Marat – und was hat er mit André Chénier zu tun?
Jean-Paul Marat (1743-1793) war Arzt, Verleger und Journalist. Er gilt als einer der radikalsten Führer der Französischen Revolution auf Seiten der Jakobiner und als Befürworter politischer Gewalt. Marat litt an einer Hautkrankheit, die er mit häufigen Bädern zu lindern versuchte.
Nachdem die gemäßigten Girondisten ab 1792 von den radikalen Jakobinern verdrängt wurden, entschied sich Charlotte Corday, eine Anhängerin der Girondisten, das Blutregime der Jakobiner zu beenden und die Hauptverantwortlichen der Schreckensherrschaft zur Rechenschaft zu ziehen. Am 13. Juli 1793 besorgte sich Corday ein 20 Zentimeter langes Küchenmesser und erstach Jean-Paul Marat in seiner Badewanne. Corday wurde bereits am 17. Juli 1793 guillotiniert. Ihre Tat hatte zwar Marats Leben beendet, ihn aber gleichzeitig zu einem Helden gemacht. Corday selbst erlangte durch den Mord den Status einer Märtyrerin der Konterrevolution.
Der reale André Chénier war tatsächlich eine historische Gestalt der Französischen Revolution, der Charlotte Corday, der Mörderin Jean-Paul Marats, eines seiner Gedichte widmete und 1794 während Robespierres Schreckensherrschaft seinen Kopf verlor.
Ein Männertorso im Bodensee
14 Meter hoch, 16 Meter breit und insgesamt 60 Tonnen schwer ist allein der Kopf des Torsos, der in den vergangenen Monaten am Bodensee entstanden ist und schon jetzt einige Ähnlichkeit mit Davids Gemälde aufweist. Noch sind die Arbeiten an der neuen Seebühne aber nicht beendet: Bis im Juni die Proben für Giordanos Oper beginnen und die knapp 200 Mitwirkenden des Spiels auf dem See in Bregenz erwartet werden, erhält nicht nur der Torso den letzten Schliff, auch zahlreiche andere Bühnenteile werden noch montiert, installiert und getestet.
Bühnenbild als CAD-Modell
Für den Bühnenentwurf von André Chénier beschritten die Bregenzer Festspiele und Bühnenbildner David Fielding völlig neue Wege: Das Gemälde Der Tod des Marat wurde gemeinsam mit CAD-Designern digitalisiert und angepasst. Mittels dieser Daten entstand ein erstes CAD-Modell des Bühnen-Torsos am Bildschirm, in dem jedes Detail des Bühnenbilds abgebildet, angesehen, vermessen und auch verändert werden konnte. Aus dem Raster der Digitalisierung wurde dann die Treppenlandschaft entwickelt, welche den Oberkörper Marats an der Vorderseite gleichzeitig aufbricht und gleichsam "zusammenhält".
Dreidimensional ausgedruckt, in Handarbeit finalisiert
Die gewonnenen Daten wurden einem 3D-Drucker eingegeben, der das Modell 1:100 dreidimensional ausdruckte. Die erhaltene Modell-Skulptur wurde von Bildhauer Frank Schulze, dem Leiter der Kaschurabteilung der Bregenzer Festspiele, überarbeitet und erneut eingescannt. Diese neuen Modelldaten erlaubten die Kontrolle der Richtigkeit der digitalen Verarbeitung und bildeten darüber hinaus die Grundlage für die Werkstattpläne der ausführenden Firmen. In jedem Moment des Aufbaus bot so die farbigen Visualisierung am Bildschirm die Möglichkeit für Gestaltung und Zwischenkontrolle.
Gleichzeitig waren diese elektronischen Daten aber auch die Basis für die Oberflächengestaltung der 24 Meter hohen Skulptur: Ihre Form wurde in vielen Teilen grob mit CNC aus Styropor herausgefräst, dann von den Theaterbildhauern in Handarbeit finalisiert.
Ein Brief, ein Spiegel und ein Gehirn aus lauter Büchern
Der riesige Kopf ist natürlich nicht nur ein Kopf: Er kann hydraulisch nach hinten geklappt werden und gibt so den Blick auf das „Gehirn“ der Figur frei: Ein 7 Meter hohen Stapel überdimensionaler Bücher dient ebenso als Spielfläche wie Treppen auf der Vorderseite des Torsos.
Ein goldener Spiegel, ein altes Buch, der Brief, den der tote Marat des Gemäldes in seiner Hand hält: Zahlreiche Bühnenelemente verleihen dem Bühnenbild der Oper André Chénier seinen historischen Touch – genauso wie die Kostüme: Imposante Barockperücken und nicht minder üppige, historische Kostüme hat Constance Hoffman für André Chénier entworfen.
Der 19 Meter hohe und 7 Meter breite Spiegel wurde ebenso wie der Kopf erst als Computermodell erstellt und dann mittels eines 3D-Druckers aus Styropor gefräst. Ihren antiken Touch erhielten die auf Holzplatten montierten, weißen Styroporteile erhielten dann von der Kaschurmannschaft: Auf eine rostrote Grundierung wurden in tagelanger Handarbeit hauchdünne Messingfolien aufgebracht, um den Spiegel in goldener Farbe erstrahlen zu lassen. Wie der Kopf, so dient auch der Spiegel im Laufe der Oper nicht nur als Dekorationselement, sondern ebenfalls als Auftrittsort für Statisten und Stuntmen.
(BK)