Bregenz, 23.02.10. Das künstlerische Konzept der Bregenzer Festspiele erfährt ab Sommer 2011 eine entscheidende Weiterentwicklung: Als Oper im Festspielhaus werden ab diesem Zeitpunkt nicht mehr Opernraritäten, sondern die Uraufführung von Auftragswerken auf dem Programm stehen. Den Anfang macht 2011 das Werk Achterbahn der britischen Komponistin Judith Weir, gefolgt von Solaris des Deutschen Detlev Glanert 2012 und Geschichten aus dem Wienerwald des Österreichers HK Gruber 2013.
"Schritt in Richtung Auftragswerke ist eine logische Entwicklung"
Eine Richtung, die sich bereits in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat, – schon Der Untergang des Hauses Usher 2006 oder auch Die Passagierin 2010 sind Werke, die in dieser Form noch auf keiner Bühne zu sehen waren – wird nun von David Pountney im siebten Jahr seiner Amtszeit als Intendant konsequent eingeschlagen: "Die Oper im Festspielhaus stand schon immer im Zeichen einzigartiger Entdeckungen. Bis dato war es die Entdeckung unbekannter oder vergessener Werke der Opernliteratur: In den vergangenen Jahren ist es uns gelungen, so brillante Opern wie Martinus Griechische Passion, Nielsens Maskerade und Szymanowskis König Roger wieder auf die Bühne zu bringen", erläutert Pountney. "Meine zweite Amtszeit in Bregenz hat es mir ermöglicht, das Programm des Festivals noch konsequenter in diese Richtung voranzutreiben, und unser Publikum über mehrere Jahre hinweg an Werke und auch an Komponisten heranzuführen, die es bisher nicht kannte. Der Schritt in Richtung Auftragswerke ist für mich daher eine völlig logische Entwicklung."
Komponistenauswahl klare Strategie
Hinter der Auswahl der drei Komponisten Judith Weir, Detlev Glanert und HK Gruber steht eine klare Strategie David Pountneys: "Ich habe die Komponisten für diese drei neuen Werke sehr bewusst ausgewählt. Eine zentrale Aussage des Briefings, das alle drei von mir erhalten haben, war, dass wir diese neuen Werke einem ganz normalen Opernpublikum inmitten eines 'demokratischen Festivals' präsentieren. Am allerwichtigsten war mir, dass alle drei dem Publikum Geschichten erzählen möchten, und zwar auf eine musikalisch sehr direkte Art und Weise."
"Neue Opern, die uns und unserem Publikum gehören!“
Der Schritt in Richtung Uraufführungen habe aber auch einen ganz anderen Nebeneffekt, so Pountney: "Natürlich freut es mich auch, dass diese neuen Opern uns, den Bregenzer Festspielen, und unserem Publikum gehören. Wir bringen sie sozusagen auf die Welt, und das Bregenzer Publikum hilft dabei. Wenn es eine dieser Opern ins Repertoire schafft, dann wäre das etwas Großartiges, das wir alle gemeinsam erreicht haben."
Drei erfahrene Theaterkomponisten
Judith Weir ist eine der interessantesten Komponistinnen, die Großbritannien in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Ihr Interesse an Folklore und Volksmusik — von Schottland, wo ihre Familie ihre Wurzeln hat, bis hin zu Island, Indien und China — hat ihren ganz persönlichen und originellen Stil geprägt. Viele ihrer Opernwerke basieren auf fantastisch-traumvollen Märchenstoffen, darunter etwa Jeremias Gotthelfs Die schwarze Spinne oder Der blonde Eckbert nach einem frühen Märchen von Ludwig Tieck. Grundlage ihres neuesten Werks, der 2011 in Bregenz zu sehenden Oper Achterbahn (Miss Fortune), ein gemeinsames Auftragswerk und eine Koproduktion mit der Royal Opera Covent Garden in London, ist ein süditalienisches Volksmärchen.
"Mir erschienen an der Originalgeschichte vor allen die realistische Darstellung von Frauen bei der Arbeit und ihr Leben Seite an Seite mit der Welt des Übernatürlichen bemerkenswert. Versetzt man diese Geschichte in die heutige Zeit und verwandelt sie in eine Oper, dann offenbart sich noch mehr Realismus: die große Kluft zwischen Arm und Reich; die dunkle Welt schlecht bezahlter Jobs in Sweatshops, Fast-Food-Läden und der Reinigungsindustrie; Menschen, die sich mit zufälligen Ereignissen verbissen abfinden und diese einfach als Pech und Schicksalsschläge interpretieren. Der Aberglaube hat immer noch Hochkonjunktur: Man sucht Erlösung im Glücksspiel; fantastische Reichtümer, gewonnen entweder in der Lotterie oder am Aktienmarkt; man glaubt an Vorsehung, Astrologie und Wahrsagerei." Judith Weir
"Judith Weirs neue Oper wird in dem speziellen Programm, das die Royal Opera im Vorfeld der Olympischen Spiele 2012 plant, einen ganz besonderen Platz einnehmen. Der Erfolg ihrer einzigartigen Bühnenwerke prädestiniert diese fabelhafte britische Komponistin dazu, ein Auftragswerk für Großbritanniens führendes Opernhaus zu schreiben. Wir sind sehr glücklich darüber, dass wir dieses aufregende künstlerische Unterfangen mit den Bregenzer Festspielen teilen können, ein Festival, mit dem wir bereits Martinus Die griechische Passion und Nielsens Maskerade koproduziert haben. Und wir freuen uns sehr, dass dieses neue Werk, das zweifellos eine wunderbare künstlerische Schöpfung sein wird, innerhalb kürzester Zeit das Publikum zweier verschiedener Länder erreichen wird." Elaine Padmore, Director Royal Opera Covent Garden London
Detlev Glanert gilt als Könner vor allem des Melodisch-Gestischen und als meisterhafter Orchestrator. Seine Werke spiegeln seine Faszination mit der romantischen Tradition wider, betrachtet von einem modernen Standpunkt. Bewunderung genießen vor allem seine Orchesterwerke und Opern, darunter das 2001 mit dem Bayerischen Theaterpreis ausgezeichnete Werk Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. Seine Oper Solaris nach Stanislav Lems berühmtem Roman ist 2012 als Oper im Festspielhaus zu sehen.
"Es handelt sich bei Solaris um eine sehr spannende, poetische und philosophische Abhandlung über unsere (Un)fähigkeit zu kommunizieren – und über die Tatsache, dass wir als Menschen das Fremde, das "Außer-Uns-Liegende" immer nur mit den Kriterien beurteilen können, die in uns selbst verankert sind." Detlev Glanert
Der aus Wien stammende Komponist, Dirigent, Chansonnier und Kontrabassist HK Gruber ist eine der bekanntesten und populärsten, aber auch rätselhaftesten Persönlichkeiten der zeitgenössischen Musikszene. Er entwickelte einen unverwechselbaren, hochindividuellen Stil, der als "neo-romantisch", "neo-tonal", "neo-expressionistisch" und "neo-wienerisch" bezeichnet wurde. Seine Musik bleibt dabei aber erfrischend undoktrinär - ein nur auf den ersten Blick einfaches und gleichzeitig finster ironisches Idiom mit einer guten Prise schwarzen Humors. Seine Oper Geschichten aus dem Wienerwald, eine Zusammenarbeit mit dem Regisseur und Librettist Michael Sturminger, basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Ödön von Horváth, ist die Oper im Festspielhaus 2013.
"Die Idee, Horváths Geschichten aus dem Wienerwald in eine Oper zu verwandeln, stammt von Michael Sturminger. Ich war zunächst skeptisch, weil es ein so bekanntes Theaterstück ist, Sturminger hat mich aber davon überzeugt, dass das keineswegs ein Nachteil sein muss. Für mich ist Geschichten aus dem Wienerwald mit seiner Schärfe, seiner Treffsicherheit, seiner beißenden Sozialkritik in der Tat ein sehr zeitloses Stück von wahrhaft Brechtschem Format." HK Gruber
(BK)