Stand: 5. August 2016, 11.00 Uhr
Autor: Egbert Tholl
[…] Lustvoll zeichnen Novotny und Zykan ein Panoptikum bizarrer Figuren. […] Auf der Werkstattbühne in Bregenz inszeniert Simon Meusburger eine lockere Szenenfolge in den Untergang, Nikolaus Habjan steuert sehr ulkige Puppen dazu bei […]. Das Amadeus Ensemble Wien spielt munter auf, Gesang gibt es auch, vor allem aber tolle Darsteller wie Marco Di Sapia.
Es ist eine Mischung aus Lehrstück, Revue und Volksgroteske, Jodler treffen auf Weill, die Welt auf der Bühne ist ein umgestürzter Salon, weil Kaiser gibt es ja nicht mehr, dafür harte Hitlerei. Zurücklehnen und das Ganze als austriakische Hanswurstiade abtun, das geht nicht. […] im Kern kriegt man hier exemplarisch vorgeführt, wie leicht es mit der Demokratie bergab gehen kann. Und deshalb sollte man immer irgendwo Staatsoperette zeigen.
Autor: Daniel Ender
[…] Unverkennbar von den 1970ern geprägt bleibt die bilderstürmende, rotzfreche Ästhetik, die das Libretto und die Musik auszeichnet: grotesker verbaler Nonsense mit einem Hang zum Sprachspiel und Lautgedicht, groteske Entstellung musikalischer Klischees vom Walzer und Marsch bis zur Revue.
Das Ensemble Amadeus unter Kobéra lässt an Klarheit und Schärfe nichts zu wünschen übrig, hochambitioniert agieren alle Sängerinnen und Sänger. […] Das Groteske ist zwar nicht weniger präsent, tritt aber ein wenig in den Hintergrund.
[…] Im Gegenzug treten die Bundeskanzler Ignaz Seipel, Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg sowie Adolf Hitler und Benito Mussolini in der scharf konturierten Inszenierung von Simon Meusburger zugleich als Sänger und als Puppen aus der Werkstatt von Nikolaus Habjan auf, so dass sie so grotesk und entrückt wirken, wie es ihrer musikalischen Verfremdung entspricht. Dennoch kommt in der tiefschwarzen Geschichtsstunde ein anspielungsreich servierter Gegenwartsbezug stärker zum Vorschein […].
Autor: Walter Weidringer
[…] Nikolaus Hanjans Puppen, bedient von den Sängern der jeweiligen Rollen, vollbringen die Paradoxie und reißen den historischen Figuren alle Masken herunter, die sie auf alten Fotos in Filmaufnahmen noch tragen mögen. Wenn Kanzler und Diktatoren sich in bleichen, reptiliengleichen Klappmaulgesichtern verdopplen, konzentrieren und offenbaren, wächst das szenische Geschehen über sich selbst hinaus – und wird wirklich unheimlich.
Besonders einprägsam […]: der auch sängerisch scharf charakterisierende Camillo dell’Antonio, der als selbstgerechter Seipel salbadert […], oder Hagen Matzeit, der seinen Countertenor dem kleinen Dollfuß leiht.
[…] Zusammen mit dem Ensemble legt sich der Wiener Kammerchor voll ins Zeug, und dass man im manchmal bunten Zuckerguss der Musik immer auch noch die starke Prise Zykan’schen Pfeffers herausschmeckt, dafür sorgt Walter Kobéra am Pult des Amadeus-Ensembles. […] In Bregenz gab es keine Provozierten, nur Begeisterte.
Autorin: Ingrid Grohe
Die Staatsoperette bei den Bregenzer Festspielen ist Geschichtsstunde und scharfe Satire zugleich
[…] Die Koproduktion mit der Neuen Oper Wien erntete bei der Uraufführung stürmischen Applaus. […] Die Staatsoperette ist ein bitteres Stück. Mit beißendem Sarkasmus sezieren Zykan und Novotny eine Entwicklung, die in mancher Hinsicht Parallelitäten zum Jetzt aufweist. […]
Autor: Wolf-Dieter Peter
[…] So brachte das Wiener Amadeus-Ensemble unter seinem Leiter Walter Kobéra eine pfiffige Melange zum Klingen, die […] vielerlei Klang-Bonbons bot – und vor allem alle politischen Entsetzlichkeiten mit Walzer-Schmäh, Galopp- und Polka-Verzerrungen entlarvend über- und überzuckerte. Das gelang zutreffend grotesk […].
Als gelungener Kunstgriff erwies sich Idee, den Seipel-, Dollfuß-, Mussolini- und andere Hauptfiguren jeweils sie selbst als Double in Form einer Oberkörper-Sitzpuppe beizufügen […].
All das servierte, angeführt von Camillo dell’Antonios „Blutprälat Seipel“, ein neunköpfiges Solistenensemble engagiert durch sechzehn Rollen wechselnd, umgeben von guten Statisten und dem durchweg mitspielenden Wiener Kammerchor. […] jetzt schon signalisierte einhelliger Beifall: unbedingt ins „Operetten-Repertoire“ aufnehmen.
Redakteurin: Karin Wehrheim
[…] Das Publikum feierte die musikalisch und optisch gelungene Uraufführung mit begeistertem Applaus. Ein erneuter Skandal wird ausbleiben, Österreich hat dazugelernt, ein Stück weit. […]
Autorin: Ingrid Grohe
Beachtliches leisten die Darsteller beim Singen und Puppenspielen; der Wiener Kammerchor und das Amadeus Ensemble Wien hängen sich mit Leidenschaft in die komplexe Partitur […].
Der Applaus gilt der künstlerischen Leistung ebenso wie dem Anliegen, ein in Österreich zu wenig besprochenes Thema wieder einmal auf den Tisch zu bringen. Die Staatsoperette war überfällig.
Autor: Peter P. Pachl
[…] Die Bühnenversion auf der Werkstattbühne der Bregenzer Festspiele ist vorzüglich geraten, getragen vom begeisterungsfördernden Dirigenten Walter Kobéra, der es versteht, das sich zwischen Kampflied und Operettenseligkeit bewegende, mit Zitaten aus Volks- und Kunstliedern, aus Lehár und Wagner vermischte Kompositum zur Einheit zu formen.
[…] In einer dem Kopf stehenden, roten Salondekoration von Heike Mirbach hat Simon Meusburger eine durchaus stimmige, dem Fluss von Musik und Handlung rasant folgende Inszenierung geschaffen. […] hinreißend singend: Thomas Weinhappel als ein sich als Künstler gerierender Mussolini […]. Beherzt singt und mit Witz agiert der von Michael Grohotolsky einstudierte Wiener Kammerchor, dessen Mitglieder auch weitere Rollen solistisch verkörpern.
[…] Wieder einmal erweist sich Vorarlberg als ein nicht nur touristischer Anziehungspunkt.
Autorin: Annette Raschner
Heimeligkeit zum Gruseln und Grausen
[…] Souverän agiert das amadeus ensemble-wien unter der musikalischen Leitung von Walter Kobéra. […] Wenn nun etwa Engelbert Dollfuß als künftiger Kanzler ein Heurigenlied mit schrecklichem Text singt, erzeugt dies eine Heimeligkeit, die zum Gruseln und zum Grausen ist. Das Schöne und das Hässliche: Sie sind in diesem Werk untrennbar miteinander verwoben und verstärken sich dadurch gegenseitig.
[…] Nikolaus Habjan hat die historischen Führerfiguren auch als Klappmaulpuppen gefertigt und die Sänger bei der Handhabung der Figuren gecoacht. […] Die Führer für einmal führen zu lassen und denjenigen sichtbar zu machen, der die Fäden zieht, stellt sich als kongenialen Kniff heraus.
Folgerichtig und klug war auch die Entscheidung [...], „das Volk“, also den „kleinen Mann“ in Gestalt von zwei kommentierenden Frauen (Laura Schneiderhan und Barbara Pöltl) aus dem linken und rechten Lager hereinzuholen.
[…] Die Sänger […] bieten eine überzeugende Leistung. Das Publikum dankte mit viel Applaus für einen Abend, der eine kleine Nachhilfestunde in Sachen Austrofaschismus bot, weil man Geschichte wiederholen muss, wenn nicht daraus gelernt wird.
Redakteur: Martin Hartmann
[…] Irene Suchy um Michael Mautner gelingt mit ihrer Bühnenfassung jetzt die Gratwanderung zwischen Komödie, Tragödie und Geschichtsunterricht […]. Es ist eine aus den Fugen geratene Welt. […] Da sind die Lacher sicher. Aber es gibt immer wieder beklemmende Momente, etwa wenn Kanzler Engelbert Dollfuß singt.
[…] Die Staatsoperette ist als Bühnenstück leichter zugänglich als der Film aus dem Jahr 1977. […] Das 23-köpfige amadeus ensemble-wien unter Walter Kobéra lässt vergessen, dass die Partitur ursprünglich für rund 80 Musiker geschrieben worden ist. Und so geht es wie bei den Operettenkönigen Straus und Lehár in die Vollen – und in den Untergang.
Autor: Werner Kaplaner
Österreichs Zwischenkriegszeit als Bühnen-Lehrstück mit Witz - Einst ein Skandal, in Bregenz mit großem Beifall aufgenommen
Eine eindringliche wie unterhaltsame Geschichtslektion über Österreichs Zwischenkriegszeit bot die Musiktheater-Uraufführung von Staatsoperette - Die Austrotragödie […]. Als ORF-Film war Staatsoperette 1977 ein Skandal, als Bühnenadaption […] wurde das Stück nun vom Publikum mit Interesse verfolgt und mit großem Beifall aufgenommen.
[…] Regisseur Simon Meusburger gelingt es, die wichtigsten Rollen mittels Handpuppen aus der Werkstatt von Nikolaus Habjan so zu (über)zeichnen, dass die oft verqueren Botschaften und Zitate voll über die Rampe kommen.
[…] Zur nachhaltigen Wirkung des polithistorischen Musiktheaters, dessen Szenen zwischen Schaudern und Lachen, zwischen Situationskomik und Erschrecken pendeln, tragen Dirigent Walter Kobéra am Pult des Amadeus Ensembles Wien sowie der Wiener Kammerchor maßgeblich bei. […]
Autorin: Christa Dietrich
Humorvolle, aufschlussreiche Rückblende in die Zwischenkriegszeit
[…] Vielschichtig spannend, aufwendig instrumentiert ist das, was man anno dazumal „plump“ nannte, weil man offenbar gar nicht hingehört hatte […]. Simon Meusburger, der aus Bregenz stammende Leiter des Wiener Schubert-Theaters, […] spielt […] mit einfachen, aber stringent kittenden Projektionen.
[…] Die Rollen sind mehrfach besetzt, Camillo dell’Antonio, Marco Di Sapia, Gernot Heinrich oder Hagen Matzeit bieten treffliche Figuren, die sehr genau agierend stets an der Grenze zur Karikatur bleiben.
Barbara Pöltl und Laura Schneiderhan, die beiden stimmlich wie schauspielerisch versierten Frauen als kommentierende Linke und Rechte, schließt das Premierenpublikum ebenso in den großen Applaus mit ein wie das gesamte Ensemble, das Leading-Team und vor allem auch Nikolaus Habjan, der gemeinsam mit Simon Meusburger Produktionen zur Zeitgeschichte kreierte und für diese Staatsoperette etwa für Mussolini, Hitler, Seipel, Dollfuß und Schuschnigg Puppen schuf, die der Handlung gewissermaßen eine Allgemeingültigkeit verleihen.
Autorin: Silvia Thurner
Mit den Sängern Camillo dell’Antonio, Hagen Matzeit, Thomas Weinhappel sowie Dieter Kschwendt-Michel waren [die Protagonisten] allesamt hervorragend besetzt. Die Puppen ermöglichten eine Spaltung zwischen der eher privaten Person und ihrer offiziellen Funktion. […]
Die Musik zur Staatsoperette, zusammengestellt aus Vorhandenem, Geborgtem und Entlehntem, zeigte die große Meisterschaft des Komponisten Otto M. Zykan auf und auch jene von Michael Mautner, der die aktuelle Fassung angefertigt hat. […] So gelang es der Musik an zahlreichen Stellen, eine ironische Distanz auszuformen oder eine zusätzliche Betrachtungsebene einzubauen. […]
Walter Kobéra, das Amadeus Ensemble Wien sowie der Wiener Kammerchor (Michael Grohotolsky, Chorleitung) begeisterten mit ihrer niveauvollen Interpretation. Auch der Bariton Marco Di Sapia füllte seine drei Rollen hervorragend aus.
Simon Meusburger inszenierte die Staatsoperette mit vielen Querverweisen und Anspielungen. […] Irene Suchy […] leistet mit ihrer unermüdlichen Arbeit für das kompositorische Schaffen des originären Komponisten Otto M. Zykan unschätzbare Dienste. […]
Autorin: Barbara Camenzind
Schön böse Lektion in Geschichte – Umjubelte Uraufführung von Otto M. Zykans Staatsoperette
[…] Irene Suchy und der Komponist Michael Mautner […] schufen ein beißend satirisch-historisches Possenspiel, welches von Regisseur Simon Meusburger kongenial in Szene gesetzt wurde. Die schön böse Geschichtsstunde [...] ist ein musikalisches Schmankerl der Extraklasse. Und fürchterlich lustig, mit der Betonung auf „fürchterlich“.
[…] Camillo dell’Antonio glänzte in dieser Partie des machtgeilen, bigotten Klerikers, der stark überzeichnet seinen Hass auf die Sozialdemokratie und den Austromarxismus auslebte. […]
Nikolaus Habjan […] brachte den Sängern das geniale doppelte Spiel Figur-Mensch bei, was der abgründigen Staatssatire enorm viel Witz und Pfeffer verleiht. […] Gerade Countertenor Hagen Matzeit, der als Dollfuß mit Kornblume fürchterlich schwere und hohe Koloraturen zu singen hatte, war hinreißend komisch und gespenstisch zugleich.
[…] Das Amadeus-Ensemble Wien unter der Leitung von Walter Kobéra überzeugte mit frischem Ton und Schmiss. Die Staatsoperette ist ein fürchterlich gutes Stück für Leute, die gerne lachen und lernen.