Stand: 21. August 2016, 16.00 Uhr
Autor: Reinhard Kager
Oper als Ölbad der Gefühle - Die in Bregenz aufgeführte Kammeroper Make no Noise von Miroslav Srnka ist spartanisch und klug zugleich.
[…] Schon die ersten Szenen in Johannes Eraths Inszenierung von Miroslav Srnkas Musiktheater Make No Noise […] machen klar, dass der Regisseur keinesfalls auf eine realistische oder gar psychologisierende Deutung der rund eineinhalbstündigen Oper zielt. Und das ist gut so. Denn die […] Geschichte vom Treffen zweier Traumatisierter auf einer Bohrinsel wäre mit bühnenrealistischen Mitteln kaum darstellbar gewesen.
[…] Tom Holloway […] schrieb […] ein eigenständiges Libretto, in dem wenig gesprochen wird und Dialoge fast gänzlich fehlen, was sowohl der Musik wie auch der szenischen Umsetzung viel Raum lässt. Er wird in Bregenz assoziativ genutzt.
[…] Die Sopranistin Measha Brueggergosman als Hanna und Holger Falk als Joseph machen das glänzend, sie halten die Spannung selbst dann, wenn durch die Mikroports nur noch ihr Atem vernehmbar ist. Ähnlich fragmentarisch hat Srnka auch den wohltuend sparsamen Instrumentalsatz komponiert, den Dirk Kaftan am Pult des präzis artikulierenden Ensemble Modern mit viel Gefühl für Details umsetzen lässt.
[…] Die chromatischen Auf-und-Abwärtsbewegungen des Ensembles erinnern ein wenig an die Opern von Georg Friedrich Haas, ohne jedoch auf mikrotonalen Skalen zu basieren. Und der stockende Vokalsatz Hannas und Josephs ähnelt den Singstimmen Salvatore Sciarrinos, allerdings ohne deren manierierte Verzierungen.
[…] Ein runder, kluger und bewegender Theaterabend, nah an den Traumata der Gegenwart.
Autor: Egbert Tholl
[…] Johannes Eraths Inszenierung macht mit der Präsenz der Nebenfiguren die Geschichte plausibel; doch deren Wirkung liegt vor allem in der Musik. Die bleibt bislang Srnkas Meisterwerk und wird nun vielleicht, dank Bregenz, Teil des Repertoires.
Redakteurin: Karin Wehrheim
[…] Schauspielerisch und musikalisch absolut überzeugend: Holger Falk und Measha Brueggergosman. Die Musiker vom Frankfurter Ensemble Modern hat Regisseur Johannes Erath hinter dem Publikum platziert. So sind auch die Zuschauer den Klängen ein Stück weit ausgeliefert – wie Hanna.
[…] Joseph beginnt nach seiner Genesung, nach Hanna zu suchen, und findet sie schließlich. Hier straffen Srnka und Erath die Filmvorlage, und das Orchester, das so lärmend begonnen hatte, wird immer leiser und schweigt schließlich ganz. Es bleibt der Gesang. Das ist nach knapp 90 starken, fast schmerzhaften Minuten ein berührendes Ende: Die beiden schwer Traumatisierten haben den klebrigen Morast verlassen und singen kaum hörbar aus einem Sternenhimmel in neun Metern Höhe: Ich werde noch böse Träume haben, aber es wird besser. Und: Ich mag es, hier mit dir zu sitzen. Ich mag es auch.
Autorin: Ingrid Bertel
[…] Regisseur Johannes Erath schafft ein für die Sänger überaus anspruchsvolles, aber vollkommen stimmiges Setting für dieses Psychodrama. […] Miroslav Srnka […] hat für dieses Seelendrama eine farbensprühende, fantasievolle und in ihrer menschlichen Dimension höchst zarte Musik geschaffen.
[…] Jetzt erweist sich, wie dringend eine so wundervolle Musik, wie sie Srnka komponiert, wieder und wieder gespielt werden muss, damit ihre vielen Facetten sich entfalten können. Denn die Bregenzer Aufführung erweist sich rundum als Glücksfall.
Und ein Glücksfall ist auch Measha Brueggergosman, für die Srnka die Rolle der Hanna komponiert hat. Ihrer Hanna zu folgen beim lautlosen Telefonat mit der Therapeutin (ungemein konzentriert und klanglich packend Annika Schlicht), das gehört zu den faszinierendsten Momenten dieses Abends. […]
Dirk Kaftan, der musikalische Leiter, führt mit buddhistischer Ruhe durch das emotionale Inferno, setzt klare, traumhaft sichere Akzente, immer im völligen Einvernehmen mit der Regie von Johannes Erath. Es ist eine kühne, vibrierende Regiearbeit, die der Musik auf ideale Weise gerecht wird. Und Markus Holdermann setzt mit seinem Lichtkonzept eins drauf und macht innere Bezüge sichtbar, die immer wieder überraschen und beglücken.
[…] Und die Zuschauer, die diesen Abend erlebten, sind dankbar für ein solches Zeichen: Der Mensch kann dem Menschen auch ein Helfer sein. In bedrängter Zeit tut es gut, daran zu denken.
Autor: Klaus Kalchschmid
Miroslav Srnkas Kammeroper Make no noise beeindruckt mit Measha Brueggergosmann und Holger Falk
[…] Die (Kammer-)Musik […] kommentiert auf immer mehrdeutige Weise das Geschehen auf der Bühne wie von einer höheren Warte aus. Alle paar Minuten verändert sie ihre Form und Faktur – oft unterstützt von präziser Lichtregie (Markus Holdermann) und könnte als genau aufeinander aufgebaute Abfolge von prägnanten Einzelstücken sogar für sich alleine bestehen.
[…] Measha Brueggergosmann verkörpert faszinierend zurückgenommen in der Stimme und dabei darstellerisch hoch präsent die fast autistische Hanna im roten Unterrock, während […] der charaktervolle Bariton Holger Falk als seelisch ramponierter Joseph in einem schönen, unversehrten [...] Körper gefangen ist.
Denn Regisseur Johannes Erath gelingt in dieser Verweigerung von oberflächlichem Realismus in Verbindung mit intensiver Personenregie eine große Dringlichkeit. Diese Ambivalenz wird noch verstärkt durch eine immer wieder aufflackernde weiß rauschende LED-Wand und eine seitlich platzierte Disco-Kugel […] (Bühne und Kostüme: Katrin Connan).
Dirk Kaftan vermag mit den 13 exzellenten Musikern des Ensemble Modern Srnkas fantastische, schon für sich genommen faszinierende Instrumentalmusik fein auszuleuchten und mit der Szene zu verknüpfen, ohne dass sie ihre eigenständige Kraft verleugnen müsste.
Autorin: Ingrid Grohe
[…] Komponist Srnka leuchtet mit einer seltsamen und vielschichtigen Musik all die schwarzen Flecken auf der Seele aus, die Worte nicht beschreiben können: […] Flirrende Streicher, knallende Bläser, subtiles Schlagwerk, verlorene Melodiefetzen von Akkordeon und Holzbläsern. […] mit aberwitzigen Ausschlägen in Dynamik und Farbe singen Measha Brueggergosman und Holger Falk die Nöte von Hanna und Joseph.
Das Beeindruckende dieser Inszenierung ist die Gleichzeitigkeit: Vergangenheit und Gegenwart, Schrecken und Hoffnung, Angriff und Fürsorge sind im selben Moment möglich – dank der perfekten Synchronisation von Orchestermusik, Sound- und Lichtinstallation und dank des eindringlichen Bühnenbilds. […]
Autorin: Elisabeth Schwind
Miroslav Srnkas berührende Kammeroper Make no noise
[…] Make no noise beschreibt den Versuch, den Lärm im eigenen Innern zur Ruhe zu bringen. […] Miroslav Srnka gelingt es, Innen- und Außenansicht gleichzeitig erlebbar zu machen. Er entwirft eine quasi distanzierte Musik, die sich in formelhaften Skalenläufen bewegt […]. Das Ensemble Modern (Leitung: Dirk Kaftan) sitzt auf der Bregenzer Werkstattbühne daher hinter dem Publikum – ihm gleichsam im Nacken.
[…] Im Gegensatz dazu steht das Stammeln Hannas (großartig, welche Expressivität Brueggergosman noch in einzelne Silben legt!) und die Verhaltenheit Josephs. Die sensibel psychologisierende Inszenierung von Johannes Erath begreift die Bohrinsel, auf der sich die beiden treffen, als Metapher für ihr Gefangensein.
[…] Es ist kein hochfliegendes Happy End, sondern eines der Stille – und wirkt deswegen umso stärker.
Autor: Jochen Hofer
Bedrohliche Make no noise-Oper kommt bei Bregenzer Publikum gut an
[…] Kraftvoll und stimmig ist dazu die Musik des 13-köpfigen Ensemble Modern unter der Klangregie von Norbert Ommer und der musikalischen Leitung von Dirk Kaftan. […] Die Töne untermalen nicht nur das sichtbare Spiel auf der Bühne, sondern spiegeln auch das Innenleben von Joseph und Hanna wider. Das Orchester sitzt hinter den Publikumsreihen, dadurch entsteht ein besonderer akustischer Raum. […] Die Kulisse unterstreicht die Emotionen der Darsteller. […]
Sowohl Brueggergosman – sie hat den bedeutendsten Part im Stück – als auch Falk überzeugen stimmlich und darstellerisch auf ganzer Linie. Gesanglich bravourös schaffen sie den Übergang von der "Sprachlosigkeit" zu langen Tönen. Ebenfalls mit großer Klasse meistern Annika Schlicht, Taylan Reinhard und Maciej Idziorek ihre Nebenrollen. […]
Als es zu Ende ist, müssen [die Besucher] sich zunächst fassen. Dann aber spenden sie langen und freundlichen Schlussapplaus.
Autorin: Christa Dietrich
[Besonders] faszinierten neben der Qualität und der Konzentriertheit des Ensemble Modern die Stimmen. […] spannend eingesetzt sind jene der Nebenrollen, die Taylan Reinhard, Maciej Ildziorek und Annika Schlicht erfüllen, während die Hauptfiguren eine Entwicklung zu vollziehen haben, die sich bei Measha Brueggergosman auf wunderbare Weise äußert, wenn sie zu Beginn als kaum […] artikulierfähige Person über den Wiedererwerb der Sprache bzw. des Gesangs zu lang ausgehaltenen Tönen findet, die zum Schönsten zählen, was für Partien in zeitgenössischen Musiktheaterwerken geschaffen wurde. [...]
Effekte von Musik standen – gut differenziert – im Zentrum der letzten Festspiel-Premiere.
[…] Regisseur Johannes Erath tut gut daran, vieles nur anzudeuten; er findet eine einheitlich ästhetische Sprache für die Geschichte über die Suche nach einem Ausweg aus traumatischen Erlebnissen […]. Ein intensiver Premierenabend, den das Publikum mit viel Applaus aufnahm.
Autorin: Anna Mika
[…] Regisseur Johannes Erath und seine Bühnenbildnerin Katrin Connan beschönigen die Trostlosigkeit dieser Bohrinsel nicht, sie zeigen deren Unwirtlichkeit durch einen Bühnenboden aus rötlichem Schlamm. […] Measha Brueggergosman als Hanna und Holger Falk als Joseph vermögen zu berühren.
Eine fantastische Leistung bietet das Ensemble modern aus Frankfurt unter Leitung von Dirk Kaftan. Sie haben großen Anteil daran, dass Miroslav Srnkas hervorragende Partitur, die auf dem Höhepunkt der Handlung sogar Anklänge an tonale Romantik hat, zu ihrer Wirkung kommt.