Während sich die Sopranistin Hanna Herfurtner in Berlin auf die Proben für den Bregenzer Freischütz vorbereitet, hat Christian Hartmann, der Leiter der Personalabteilung, alle Hände voll zu tun: Je näher die Festspiele rücken, desto größer wird sein Personalbestand.
Mit dem Beginn der Probenzeit im Juni setzt sich der komplexe Apparat der Bregenzer Festspiele in Bewegung – ein Zusammenspiel von künstlerischer Leidenschaft und logistischer Meisterleistung. Zwei Personen stehen sinnbildlich dafür: Die Sopranistin Hanna Herfurtner, die als Ännchen im Freischütz auf die Seebühne zurückkehrt, und Christian Hartmann-Carraro, der als Personalchef den Sprung von 140 auf rund 1000 Mitarbeitende koordiniert.
Mit Familie und Zwiebelschalen-Garderobe an den Bodensee
Auf gepackten Koffern sitzt Hanna Herfurtner noch nicht. Aber sie denkt darüber nach, was sie alles mitnehmen muss, wenn sie nach Bregenz aufbricht. „Die Temperatur kann auf der Seebühne ganz schön wechselhaft sein“, sagt die Sängerin, die vom 17. Juli an in Carl Maria von Webers Freischütz das Ännchen spielen wird; einen Monat früher beginnen die Proben. „Es kann sehr heiß, aber auch ziemlich kühl werden. Also kleidet man sich am besten nach dem Zwiebelschalen-Prinzip.“ Empfänge gibt es auch, „deshalb muss die Cocktail-Garderobe mit“. Und, für die Freizeit, Badesachen und Bergschuhe. Nur ein Problem gilt es noch zu lösen: Wie kommt das Fahrrad an den See, nachdem die Deutsche Bahn ihren grenzüberschreitenden Transportdienst eingestellt hat?
Hanna Herfurtner weiß, worauf sie sich eingelassen hat. Schon 2013 und 2014 hat sie in Mozarts Zauberflöte auf der Seebühne gestanden, 2021 hat sie auf der Werkstattbühne an der Uraufführung von Alexander Moosbruggers Wind mitgewirkt, jetzt folgt die zweite Freischütz-Saison. Gut hörbar freut sie sich im fernen Berlin. Denn Hanna Herfurtner liebt vieles an Bregenz. Da ist, zum einen, die Atmosphäre, dieses Eingebettetsein in die Natur. „Wenn man zur Arbeit kommt, geht gerade die Sonne unter, und das ist jedes Mal anders. Auch die Gewitter da und dort sind eindrucksvoll“, sagt sie. Da ist, zum andern, das Wasser. „Ich bin eine richtige Wasserratte. Ich glaube, in meiner Seele bin ich ein Otter.“
Aber fühlt sie sich nicht einsam in diesen neun Wochen fern der Heimat? „Oh, nein“, sagt sie. „In der sehr intensiven Probenzeit bin ich unablässig mit anderen zusammen; da genieße ich es dann eher, wenn ich mal ein bisschen Zeit für mich alleine habe.“ Außerdem: Schon hätten sich Freunde angesagt für einen Besuch in der Urlaubsregion. Vor allem aber: Die Familie kommt mit – ihre Frau, ihre vierjährige Tochter, die Großeltern. „Mein Kind ist ein guter Anker, wenn ich nach dem ganzen Opernwirbel nach Hause komme. Das erdet mich.“
Vom Kernteam zum großen Kulturbetrieb: Logistik für eine Gemeinschaft auf Zeit
Man kann sich die Bregenzer Festspiele ganz gut als einen atmenden Organismus vorstellen. Rücken sie näher, dann atmet dieser Organismus ein, und sein Personalbestand wächst sprunghaft an. Sind sie zu Ende, dann schrumpft das Ganze wieder. Gesteuert wird dieser Prozess vom Leiter der Personalabteilung, Christian Hartmann-Carraro. Er hat auch die genauen Zahlen. „Wir haben in unseren beiden Firmen 140 Fixmitarbeiter, die das ganze Jahr über da sind. Im Sommer sind es heuer rund 1000 – aus 16 Nationen", erklärt er. Mit den zwei Firmen ist zum einen die Kongresskultur Bregenz GmbH gemeint, die das Festspielhaus unter dem Jahr betreibt, und zum andern die Bregenzer Festspiele GmbH, die es samt Seebühne für zweieinhalb Monate beanspruchen.
Ton und Licht, Kasse und Kostümabteilung, Requisite und Maske, Publikumsservice und Bühne: Sie alle brauchen und suchen jetzt Personal. Hinzu kommen all die Künstler:innen, die Wiener Symphoniker und die Chöre. Sie alle müssen engagiert und oft auch untergebracht werden. Da gilt es vieles zu klären, vor allem bei Leuten mit ausländischem Pass. Christian Hartmann-Carraro sitzt mit seinen fünf Mitarbeiter:innen an der Schaltstelle. „Wir helfen bei der Suche“, erklärt er, „aber entscheiden müssen dann die zuständigen Abteilungen. Wir regeln die Details und schließen die Verträge ab.“ Und weiter: „Eine Festspiel-Mitarbeiterin vermittelt Zimmer und Wohnungen: in Bregenz selbst und in einem weiteren Umkreis bis hinüber nach Lindau, wo die Lebenshaltungskosten und Mieten etwas tiefer sind.“
Schließlich, besonders wichtig: „Wir unternehmen viel, um diese Menschen zu integrieren“, sagt Christian Hartmann-Carraro. „Damit sie zusammen überzeugende Kunst produzieren können. Denn darauf allein kommt es an.“ Leicht ist das nicht. Rundschreiben, eine Mitarbeiterzeitschrift, regelmäßige Aussprachen, Sportveranstaltungen, Yoga, Feste, das Schwimmbad gleich nebenan, und bei Bedarf auch psychologische Beratung: All dies soll die Menschen aus nah und fern für den Sommer heimisch werden lassen. Außerdem, fügt Hartmann-Carraro hinzu: „Unsere Tür ist immer offen, ich sehe mich auch als eine Art Blitzableiter.“ Manchmal ist auch Strenge angesagt: „Es braucht in einem so speziellen Betrieb auch Spielregeln“, sagt er.
Die Festspiele sind, ähnlich wie ein Zirkus, eine Gemeinschaft auf Zeit. Jeden Tag ist Vorstellung, jeden Tag muss präzise gearbeitet werden, müssen vor den Augen des Publikums die Teile eines großen Puzzles zusammengefügt werden. Christian Hartmann-Carraro, der aus dem nahen Wolfurt kommt, ein Mann mit viel Festival-Erfahrung, bevor er 2011 zu den Bregenzer Festspielen stieß, staunt manchmal selber über das, was er da sieht. Und sagt: „Ich habe in Bregenz meine Leidenschaft gefunden.“
(ra)