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Die Unsicherheit unseres Blicks

Eine Frau lernt Techniken und Preise von Schönheitsoperationen auswendig. Ein Mann verfällt jenem Augenblick, in dem im Film unbemerkt die Überwachungskameras angehalten werden und für Sekunden

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Eine Frau lernt Techniken und Preise von Schönheitsoperationen auswendig. Ein Mann verfällt jenem Augenblick, in dem im Film unbemerkt die Überwachungskameras angehalten werden und für Sekunden Dinge passieren, die niemand ahnt. Die Angst eines Polizisten, keinen Parkplatz zu bekommen, nimmt ungeahnte Ausmaße an. Daneben geht ein Mädchen verloren. Mit Makulatur von Paulus Hochgatterer kehrt das Schauspielhaus Wien nach dem Erfolg von Waisen 2011 nach Bregenz zurück, Spielort ist 2012 erstmals nach längerer Zeit wieder die Werkstattbühne.

„Was sehe ich, wenn ich genau hinschaue, und was habe ich am Ende wahrgenommen?“, so fragt Paulus Hochgatterer, Kinderpsychiater und einer der prononciertesten österreichischen Prosaautoren, in Makulatur, seinem neuen, vom Schauspielhaus Wien in Auftrag gegebenen Stück. Hochgatterer untersucht in Makulatur mit der ihm eigenen scharfsinnigen Komik Mechanismen der Wahrnehmung und der Realitätsverweigerung – und den Blick in jenen Abgrund, den wir von ferne zu sehen beginnen, wenn wir uns zwingen, ganz genau hinzusehen.

Wahrnehmung und Täuschung
Der Autor thematisiert die Beobachtung und die Netzhaut, absichtliche und organische Wahrnehmungstäuschung. Dabei spielt der gelbe Fleck eine Rolle, jener Teil der Netzhaut im Auge, der die meisten Sehzellen enthält (nicht zu verwechseln mit dem blinden Fleck, an dem der Sehnerv austritt).

Es geht also auch um eine Makuladegeneration im Auge des Betrachtenden: Ich sehe etwas, das ich nicht kenne. Ich sehe etwas, das ich nicht erkenne. Ich sehe etwas, das ich fühle, wittere, aber das mir nicht ersichtlich ist. Alles nur Wahrnehmungsfragen, ein Spiel, Theaterspiel oder doch nur eine Täuschung des Auges, der Kamera, ein blinder oder zu gelber Fleck? Makulaprobleme oder Makulatur?

Menschen, die keiner Norm gehorchen
Paulus Hochgatterer, geboren 1961 in Amstetten/Niederösterreich, lebt als Schriftsteller und Kinderpsychiater in Wien. Im Zentrum seiner Werke stehen zumeist Menschen, deren Verhalten keiner Norm gehorcht, sondern die Grenzen des Erwartbaren überschreitet.

Zu seinen bekanntesten Romanen zählen unter anderem Über die Chirurgie (1993), Wildwasser (1997), Caretta Caretta (1999), Über Raben (2002), Die Süße des Lebens (2006) und Das Matratzenhaus (2010). 2008 debütierte Hochgatterer mit Casanova oder Giacomo brennt als Dramatiker bei den Sommerspielen Melk.

Mit Hochgatterers neuestem Werk Makulatur gastiert das Schauspielhaus Wien nach dem großen Erfolg mit Waisen 2011 ein weiteres Mal in Bregenz, und zwar diesmal auf der Werkstattbühne des Festspielhauses. Premiere ist am 9. August 2012 um 19.30 Uhr.

Paulus Hochgatterer über Makulatur
„Eine Frau lernt Techniken und Preise von Schönheitsoperationen auswendig. Ein Mann verfällt jenem Augenblick, in dem im Film unbemerkt die Überwachungskameras angehalten werden und für einige Sekunden Dinge passieren, die niemand ahnt. Die Angst eines Polizisten, keinen Parkplatz zu bekommen, nimmt ungeahnte Ausmaße an. Daneben geht ein Mädchen verloren.

Entlang mehrerer, einander berührender Stränge wird die Frage nach der Bedeutung des allgemein Sichtbaren gestellt. Konstituiert tatsächlich nach wie vor die visuelle Oberfläche unser Denken, Fühlen und Handeln? Sind wir nicht vielmehr in ein perfektes Netz von Schein, Täuschung und Kontrolle eingesponnen? Hängen wir nicht alle an unsichtbaren Marionettenfäden – und ist nicht das, was wir großspurig unsere Identität nennen, längst bloße Chimäre?

Es sind Akte des Widerstandes und der Übertretung von Übereinkünften, die dem Menschen autonome Wahrnehmungs- und Spielräume schaffen bzw. bewahren: die Verweigerung der allgemeinen Aufgeregtheit; die Pflege der bloßen, sinnfreien Vorstellung; die wohlgesetzt brachiale Intervention; der nicht dem Schema entsprechende chirurgische Eingriff; schließlich das schlichte Verschwinden aus dem Blickfeld der Kameras.

Das Mosaik aus teils stillen, teils bizarren Momenten der Anarchie, das in dem Stück gelegt wird, verweist den Zuschauer letztlich implizit auf jene Schlüsselszene in der menschlichen Entwicklung, in der das kleine Kind erstmals die Hand der Mutter verlässt, in ein anderes Zimmer läuft, sich umwendet und im Gewahr werden, dass es niemand anderen mehr sehen kann, feststellt, dass es allein ist und zugleich vollkommen frei.“

Schauspiel auf der Werkstattbühne
Schauspielhaus WienMakulatur von Paulus HochgattererPremiere: 9. August 2012 – 19.30 UhrWeitere Aufführungen:
10 und 11. August 2012 – 19.30 Uhr

Regie: Barbara-David BrüeschBühne: Damian HitzKostüme: Corinne RuschMusik: Gaudenz Badrutt und Christian Müller (Strøm)Video: N. N.Dramaturgie: Brigitte Auer

Gastspiel des Schauspielhauses Wien

Preis: EUR 26

Werkstattbühne

15.03.2012 Plakatmotiv Schauspiel 2012 © Bregenzer Festspiele / die3.eu
03.07.2012 Makulatur - Schauspielhaus Wien Makulatur von Paulus Hochgatterer, Schaupielhaus Wien.v.l.n.r. Nikola Rudle, Steffen Höld, Katja Jung
© Alexi Pelekanos
03.07.2012 Makulatur - Schauspielhaus Wien Makulatur von Paulus Hochgatterer, Schauspielhaus Wien.Katja Jung (unten), Nikola Rudle (oben)
© Alexi Pelekanos
03.07.2012 Makulatur - Schauspielhaus Wien Makulatur von Paulus Hochgatterer, Schauspielhaus Wien.v.l.n.r. Christoph Rothenbuchner, Franziska Hackl
© Alexi Pelekanos
03.07.2012 Makulatur - Schauspielhaus Wien Makulatur von Paulus Hochgatterer, Schauspielhaus Wien.v.l.n.r. Steffen Höld, Nikola Rudle
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