Bregenzer Festspiele
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Drei Chöre, ein gewaltiges Werk

Das archaische Chor-Orchester-Werk Kullervo von Jean Sibelius bildet das Herzstück des Orchesterkonzerts vom 27.Juli unter der Leitung von Jukka-Pekka Saraste. Zwei Tage zuvor tritt der YL Male Voice Choir mit einem großenteils finnischen Programm auf.  

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© Bregenzer Festspiele / Eva Cerv

Jean Sibelius ist ein Denkmal – ein Komponist, dessen Werke man kennt, und der, wie niemand sonst, für seine Heimat steht: für Finnland. Seine herausragende Position besetzt er zu Recht, doch haben solche Denkmäler auch den Nachteil, dass sie Andere verdecken.

„Das ist auch bei anderen großen Komponisten so, dass sie viele Zeitgenossen vergessen machen“, sagt Jaakko Kortekangas, Leiter des künstlerischen Betriebsbüros der Bregenzer Festspiele. „Im Falle von Jean Sibelius kommt hinzu, dass seine Bedeutung über das Musikalische hinausgeht.“

Nichts zeigt das so deutlich wie jenes große Werk, das bei uns selten gespielt wird, und das am 27.Juli im Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker erklingen wird. Jukka-Pekka Saraste wird die Chor-Orchester-Sinfonie Kullervo dirigieren, mit der der 27-jährige Komponist 1892 die große Bühne seines Landes betritt: „eine Schöpfung aus dem Nichts, ein halsbrecherischer Sprung in die Zukunft fast ohnegleichen“, wie der Sibelius-Biograph Volker Tarnow schreibt. Nicht nur ein groß besetztes Orchester wird da zu hören sein in einem siebzig Minuten dauernden Werk, das kraftvoll-rhythmischen Verse mit einer archaisch geformten Musik verbindet. Beteiligt sein werden auch zwei Solisten – die Sopranistin Marjukka Tepponen und der Bariton Ville Rusanen – und nicht weniger als drei Chöre: die Männerstimmen des Bregenzer Festspielchors und des Prager Philharmonischen Chors, und schließlich der 1883 an der Universität Helsinki begründete YL Male Voice Choir.

Ein Werk zwischen Mythos, Sprache und Selbstvergewisserung

Kullervo ist ebenso musikalisches wie politisches Statement zu einer Zeit, da sich die finnische Identität erst langsam herauszubilden beginnt. Fünf Jahrhunderte lang hat Schweden das Land beherrscht, dann, 1809, öffnet Schwedens Niederlage gegen Russland das Tor für eine kulturelle Selbstbesinnung, die dann, 1917, auch in die Unabhängigkeit des Landes mündet. Stück um Stück verdrängt das Finnische das vorher tonangebende Schwedische, mit dem auch der 1865 geborene Jean Sibelius noch aufwächst. Erst in der Familie Järnefelt lernt der Musikstudent dann jenen finnischen Nationalstolz kennen, der sich so langsam auch in der Bildungsschicht breit macht. Und er lernt dort auch Aino kennen, die seine Frau fürs Leben werden und sechs Kinder zur Welt bringen wird. 

Jetzt findet er zu seinem Stil. Und zu seinem ersten großen Thema. Es sind die alten, vom Sprachforscher Elias Lönnrot in den 1830er-Jahren gesammelten und zum Kalevala-Epos geformten, von den Stämmen Kareliens im Norden und Nordosten Finnlands mündlich weitergegebenen Gesänge und Legenden, die den jungen Komponisten fesseln. Dort findet sich in den Gesängen 31 bis 36 auch die Geschichte des unglücklichen Viehhüters Kullervo, der auf der Landstraße einer Frau begegnet, die er verführt. Als sie erfährt, dass sie seine Schwester ist, ertränkt sie sich im Fluss. Er aber stürzt sich in sein Schwert. „In seinem Leben geht alles schief“, sagt Jaakko Kortenangas, „so etwas lieben die Finnen. „Das Dunkle, Melancholische gehört zu diesem Land im hohen Norden, das unterstreicht auch Pasi Hyökki, Leiter des YL Male Voice Choir. „Wir haben lange, dunkle Winter, deshalb mögen die Finnen traurige Geschichten so sehr.“

Kullervo ist eine neue Erfahrung für uns“

Unheilvoll wabern Streicherfiguren, gewaltig schmettert das Blech, ungewöhnliche Tonarten und ein ungewöhnlicher Rhythmus wecken jene Stimmung, die dann in den vorwärtstreibenden Versen des Chors zum Ausdruck kommt. „Kullervo, das ist Kalevala pur“, sagt Jaakko Kortekangas. „Deshalb wird es von finnischen und estnischen Dirigenten auch in der ganzen Welt gespielt. Ich selber habe es mit dem YL Male Voice Choir in Singapur gesungen.“

Die Chorleiter freuen sich auf das Kullervo-Abenteuer. „Es ist großartig, dass dieses bei uns wenig bekannte Werk für die Bregenzer Festspiele programmiert wurde», sagt Benjamin Lack, Leiter des Bregenzer Festspielchors. «Der Männerchor wird über weite Strecken unisono geführt, er tritt kraftvoll und deklamierend auf. Und: Die Sprache passt wahnsinnig gut auf die Musik.“ „Kullervo ist eine neue Erfahrung für uns“, erklärt auch Lukáš Kozubik vom Prager Philharmonischen Chor. „Sibelius’ dramatische und kraftvolle Musik ist eng verknüpft mit einer Sprache, deren Schönheit ich durch die Arbeit an Kullervo kennen gelernt habe.“

Pasi Hyökki kann das nur bestätigen. Mit dem YL Male Voice Choir dirigiert er den ältesten Männerchor Finnlands, der sich auch heute weder über Nachwuchs noch über Popularität zu beklagen hat. „Wir waren der erste Chor, der Konzerte nur auf Finnisch gegeben hat“, sagt er, „viele Chorwerke von Sibelius sind von uns in Auftrag gegeben worden.“ Die Weihnachtskonzerte des Chors seien extrem populär, er unternehme viele Tourneen – in Finnland selbst, aber auch immer wieder ins Ausland. Oft mit dabei ist Kullervo als ein wuchtiger Türöffner in die finnische Kultur.

Doch damit das Denkmal Sibelius nicht allzu einsam in der Landschaft steht, gibt der YL Male Voice Choir in Bregenz noch ein zweites Konzert: Unter dem Titel Waldeinsamkeit gastiert er am 25.Juli in der Pfarrkirche Herz Jesu mit einem A-cappella-Programm, das zwar mit Sibelius startet, dann aber Werke anderer, weit weniger bekannten Romantiker wie Toivo Kuula oder Leevi Madetoja zu Gehör bringt und in einer weiteren Etappe in unsere Zeit vorstößt, zu Juuso Vanonen, Mikko Sidoroff, der aus der Ukraine stammenden Galina Grigorjeva und dem etwas älteren Einojuhani Rautavaara. Da zeigt sich dann: Finnlands musikalische Kultur ist so weitläufig und reich wie das Land selbst.

(ra)     

Info

Lesen Sie hier mehr über Sibelius’ „nullte“ Symphonie".

27.06.2025 Probenfoto Bregenzer Festspielchor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
27.06.2025 Probenfoto Bregenzer Festspielchor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
27.06.2025 Probenfoto Bregenzer Festspielchor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
27.06.2025 Probenfoto Bregenzer Festspielchor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
27.06.2025 Probenfoto Bregenzer Festspielchor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
09.07.2025 Prager Philharmonischer Chor © Bregenzer Festspiele / Eva Cerv
30.01.2025 YL Male Voice Choir © Lauri Tamminen
14.07.2025 Wiener Symphoniker © Bregenzer Festspiele / Daniel Ammann
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In dieser ersten Probe übt ein kleiner Teil des Bregenzer Festspielchors für das Orchesterkonzert mit Jukka-Pekka Saraste am 27. Juli 2025, 11 Uhr. In der Probe lernen die Sänger die richtige, finnische Aussprache mit dem künstlerischen Betriebsdirektor Jaakko Kortekangas. 

Chorleiter: Benjamin Lack

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