Die Welt der Klänge am Computer

Bregenz, 13.8.21. Wie die Orgel für die Oper Wind ist auch deren Steuerung eine Neuentwicklung. Die Innovation stammt von Thomas Hummel, Musikinformatiker im Experimentalstudio des SWR.

In einen Wald aus Klängen und Geräuschen wird diesen Sommer das Publikum von Alexander Moosbruggers Oper Wind eintauchen. Orgelpfeifen in unterschiedlichen Größen machen – wirklichen Bäumen gleich – die Werkstattbühne zur klingenden Traumwelt des Poliphilo. 172 Orgelpfeifen arrangieren die bildende Künstlerin Flaka Haliti, der Komponist sowie die Experten von Rieger-Orgelbau zu einem geheimnisvollen Raum für Mitwirkende und Publikum.

Die Zahl 172 erinnert an die 172 Holzschnitte, die das der Oper zugrundeliegende Renaissance-Buch Hypnerotomachia Poliphili zum Gesamtkunstwerk machen. Die 172 Orgelpfeifen aus Metall und Holz, eine jede unterschiedlich in Klang und Größe, haben nicht nur die Orgelbauer der Firma Rieger viel Denk- und Handarbeit gekostet. Auch die Informatik war gefordert.

An den Schnittstellen zwischen Informatik und Musik arbeitet Thomas Hummel, Musikinformatiker und Forscher im Experimentalstudio des Festspielpartners SWR. Er begleitete den Entstehungsprozess des Werkes von Beginn an. Zur Unterstützung von Alexander Moosbrugger entwickelte Thomas Hummel, der selbst Komposition studiert hat, ein Orgel-Simulationsprogramm. Für die Aufführung erarbeitete der Informatiker die Steuerung des Instrumentes. Auf der Werkstattbühne wird er mit elektronischen Befehlen dafür sorgen, dass das Instrument die von Alexander Moosbrugger geschaffene Musik in gewünschter Form wiedergibt.

Eine Orgel wird simuliert
Eine virtuelle Doppelgängerin der Orgel zu schaffen, war notwendig, „weil der Prototyp dieser neuen Orgel ja noch nicht aufgebaut war, als wir mit der Produktion begonnen haben“, sagt Hummel. „Mit der Simulation konnte der Komponist auch ohne das Instrument arbeiten.“ Eine Orgel könne man klanglich virtuell ersetzen, sagt der Informatiker, „schwieriger ist es bei den Ventilöffnungen, die können wir nur zu 50 Prozent simulieren.“

Den Klang der Ventilöffnungen nachzuahmen, war die Hauptaufgabe bei diesem außergewöhnlichen Projekt. Die Herausforderung bei der Entwicklung dieser elektronischen Feinsteuerung ist das Ausschöpfen des gesamten Klangspektrums einer Orgelpfeife. Im Unterschied zur mechanischen Orgel, bei der eine Taste ganz oder gar nicht gedrückt wird, können die Ventile über den Computer „nur ein ganz kleines bisschen oder auch ganz geöffnet werden“, erklärt Thomas Hummel. „Je nach Öffnungsgrad der Ventile entstehen dann sehr ungewöhnliche Klänge.“

Was einfach klingt, war für den Informatiker aber Knochenarbeit. Denn um den tatsächlichen Klängen oder Geräuschen nahezukommen, müsse man den Grad der Ventilöffnung ganz genau kontrollieren können. „Ich musste also etwas programmieren, um den Öffnungsgrad der Ventile hörbar zu machen.“ Dafür fehlte dem leidenschaftlichen Datensammler aber das notwendige Klangmaterial.

Die Virtualisierung der Musiker
Thomas Hummel griff neben Audiodateien von Alexander Moosbruggers Berliner Orgel auf Material aus seiner eigenen Sample-Datenbank zurück. Für conTimbre, sein virtuelles Orchester der Neuen Musik, hatte Hummel über die Jahre mehr als 87.000 Klänge und über 4.000 Spieltechniken für 160 Musikinstrumente gesammelt.

„Virtualisierung der Musiker“ nennt er seine Sammlung scherzhaft. Für Wind wurde er bei den virtuellen Bläsern fündig. „Die ganz leicht geöffneten Ventile von Alexanders Orgel hörten sich für mich an wie der gehauchte Klang von Holzbläsern, von Flöten und Klarinetten.“ Der Tüftler mischte Orgel und Holzbläser, „nach einigen Wochen Arbeit hat die Simulation schließlich funktioniert.“

Für die Steuerung der Ventilöffnung galt es, eine Software zu entwickeln, die ohne riesige Datenmengen jede einzelne der 172 Orgelpfeifen natürlich klingen lässt. „Da hatte Corona sogar was Gutes“, sinniert Hummel, „durch den Ausfall der Konzerte hatte ich Zeit, über Möglichkeiten zur Vereinfachung nachzudenken und dann alle Problemfelder abzuarbeiten. So konnte ich eine Feinsteuerung für dieses neue Instrument entwickeln“.

Keine Nerds, sondern Musiker
Thomas Hummel und sein Kollege Maurice Oeser werden die Aufführungen von Wind als Klangregisseure mitgestalten. Die Synchronisation von Computer und Ensemble gehört zu ihren Aufgaben. Sie werden dafür verantwortlich sein, dass Klänge und Orgelsequenzen im richtigen Augenblick ausgelöst werden. Sehr viel Konzentration erfordere diese Arbeit, sagt Hummel: „Als Klangregisseur muss man sehr gut hinhören und sehr gut Partitur lesen können. Man muss alle Instrumente und die Musikerinnen und Musiker sehr genau kennen.“ Man sei Teil des Ensembles: „Es ist, als würde man ein Instrument nur mit dem Kopf spielen.“

Thomas Hummel und Maurice Oeser sind aber nicht die Nerds im Hintergrund. Sie verstehen sich als „Musiker, die mitmusizieren“. Sie werden für Wind auf der Bühne klassische Live-Elektronik-Parts gestalten, über ihre Computer Klänge erzeugen und verfremden. Und damit die geheimnisvolle Welt des Poliphilo noch ein bisschen rätselhafter machen.

Aus: Festspielzeit – Das Magazin der Bregenzer Festspiele, Ausgabe 4/2021 / Text: Jutta Berger

12.08.2021

Orgel Wind

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