Musiktheater mit virtuellen Gästen

Neue Musik trifft künstliche Intelligenz: Uraufführung von Melencolia von Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck

Bregenz, 12.8.22.Der Titel verheißt zwar anderes, doch bei Melencolia werde „es auch etwas geben, was man beim zeitgenössischen Musiktheater nicht oft findet: Humor!“ Das verspricht Olaf A. Schmitt, Künstlerischer Berater der Bregenzer Festspiele. Das Werk der deutsch-österreichischen Komponistin Brigitta Muntendorf, das am 18. August uraufgeführt wird, wird jedenfalls außergewöhnlich.

Das gesamte Festspiel-Team blickt der Premiere gespannt entgegen. Denn selbst in den letzten Tagen davor probieren Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck noch einiges aus. Sie und der Dramaturg, die Melencolia auch gemeinsam inszenieren, sind begeistert von den technischen Finessen der Werkstattbühne und wie im Raum mit dem Publikum interagiert werden kann. So viel sei verraten: Mit einer App werden die Besucher durch ihre Smartphones schon vor der Aufführung verschiedene Wesen herbeirufen und diese als virtuellen Chor erklingen lassen.

„Normalerweise hören wir künstliche Stimmen immer als digitale Dienstleister, zum Beispiel Alexa oder Navigationsstimmen. In Melencolia führen die Stimmen ihr Eigenleben, schreien uns an, sind melancholisch, poetisch, verzweifelt oder gelangweilt“, sagt Brigitta Muntendorf im Interview mit der „Festspielzeit“.

Bei Melencolia handelt es sich um ein Auftragswerk der Bregenzer Festspiele und des Ensemble Modern, das in Frankfurt am Main beheimatet ist. Dort wurden im Frühjahr auch verschiedene Ton- und Filmsequenzen für die Uraufführung in Bregenz aufgenommen. Das „hybride Musiktheater“, so Olaf A. Schmitt, lote die Grenzen einer Aufführung aus: „Sehr vielschichtig, direkt und zugänglich!“

Der Untertitel „Show gegen die Gleichgültigkeit des Universums“ klingt nach Kampfansage. Schließlicht trachten wir den bestimmten Gemütszustand eher zu vermeiden … oder etwa doch nicht? Eine gewisse Zwiespältigkeit sitzt tief. Die Melancholie galt über Jahrhunderte und Kulturen hinweg einerseits als körperliche Krankheit, andererseits aber auch als Schwester der Genialität. Und so möchte die Komponistin „Melancholie als eine Haltung beschreiben, die uns erlaubt oder uns vielleicht auch zwingt, Widersprüche zu beobachten und auszuhalten. Ein Stillstand, der uns in eine tiefe Auseinandersetzung mit uns und der Welt führt“.

In der Melancholie gebe es keine Erlösung, befindet Brigitta Muntendorf, „es gibt nur Gedankenschleifen, Assoziationen, Verkettungen. Und ebenso erlebt der Abend einen ständigen Wandel und spielt mit Übergängen zwischen weit voneinander entfernten Bild-, Video- und Musikmaterial“. 3D-Audio-Landschaften, 60 im Kreis um die Besucher gruppierte Lautsprecher und natürlich die 14 Instrumentalsolisten des Ensemble Modern, die auf die virtuellen Gäste oder ihren eigenen digitalen Zwilling stoßen. Doch niemand müsse an diesem Abend Angst vor Technologie und Künstlicher Intelligenz haben, beruhigt die Komponistin: Die musikalische Erkundung all der Gegensätze, die der Melancholie zugeschrieben werden, sei „recht menschlich“ geworden.

Übrigens: Brigitta Muntendorf wurde 1982 in Hamburg geboren und hat einen direkten Bezug zu Vorarlberg: Ihre Mutter ist hier geboren und hat sogar 1959 bei Die verkaufte Braut im Festspielchor gesungen. „Sie erzählt mir immer wieder amüsiert, wie jedes Mal bei den Proben irgendwer von den damaligen rumpelnden Holzkonstruktionen ins Wasser gefallen ist“, so die Deutsch-Österreicherin, die an der Hochschule für Musik und Tanz Köln eine Professur für Komposition innehat.

Hinweis:
Kommenden Sonntag um 9.30 Uhr ist die Komponistin Brigitta Muntendorf zu Gast beim „Festspielfrühstück“ im Seefoyer, es moderiert Stefan Höfel (ORF).

Die Bregenzer Festspiele 2022 finden von 20. Juli bis 21. August statt. Tickets und Infos unter www.bregenzerfestspiele.com Telefon 0043 5574 407 6.

(ami)

11.08.2022

Brigitta Muntedorf

© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
11.08.2022

"Melencolia"

© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
11.08.2022

Moritz Lobeck

© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler
11.08.2022

Melencolia

© Bregenzer Festspiele / Anja Köhler