Komisches Heldentum und Fragezeichen in der Musik

Fünf Fragen an Jörg Lichtenstein, Regisseur von Armida

Bregenz, 29.7.2022. Jörg Lichtenstein, Universitätsprofessor für Schauspiel am Salzburger Mozarteum, inszeniert zum dritten Mal eine Produktion des Opernstudios der Bregenzer Festspiele. Nach den bekannten Mozart-Opern Cosí fan tutte (2015) und Die Hochzeit des Figaro (2017) beschäftigt sich der gebürtige Rostocker heuer mit Armida. Joseph Haydns erfolgreichste, aber selten gespielte Oper ist eine Geschichte aus der Epoche der Kreuzzüge, die dem heutigen Publikum noch einiges zu sagen hat.

Worum geht es in dem Stück?
Innerhalb einer verblüffenden Mischung aus Fantasy-Oper, Historiendrama und Liebesgemetzel interessiert Haydn offenbar besonders die Schwierigkeit bis Unmöglichkeit, eine Partnerschaft zu leben. Uns auch. Warum ist es so kompliziert, miteinander klarzukommen – selbst ohne wirklichen Grund für Misstrauen und Frust? Das sensationell Untypische dieser Oper besteht in der Überforderung aller Figuren nicht durch Dreieckskonflikte oder Ähnliches, sondern aus sich selbst heraus. Unser musikalischer Leiter Jonathan Brandani spricht da gern von den Fragezeichen in der Musik. Armida muss erleben, dass ihre Zauberkräfte keine Hilfe sind, ihren Geliebten zum Guten zu beeinflussen. Der militärische Popstar Rinaldo findet sich zerrissen von seinen Gefühlen und Kategorien wie Tugend, Pflicht und Ehre. Darin stecken Tragik, jede Menge Komik und viel Anlass für Zauberei.

Armida trägt den Untertitel „Dramma eroico“, wörtlich übersetzt „heroisches Drama“. Wie wird Heldentum in Ihrer Inszenierung interpretiert?
Ich sehe schon in dieser Zuschreibung Haydns Humor. Alle sechs Figuren scheitern doch komplett. Idreno an seinen eigenen Intrigen, Ubaldo an den Zweifeln Rinaldos, Zelmira an konträren Loyalitäten, Clotarco ganz ähnlich. Man sieht versuchtem Heldentum dabei zu, wie es nicht klappt. Und wie vielfarbig Haydn das komponiert, ist wunderbar.

Wie weit sind Sie mit den Proben?
Wir haben Bergfest: Zweieinhalb Wochen liegen hinter uns, zweieinhalb Wochen sind es noch bis zur Premiere. Alles wurde wenigstens einmal geprobt. Jetzt konzentrieren wir uns auf die Wege der Figuren und die Koordination mit ihren schwierigen Gesangspartien. Das Ensemble ist toll, die Stimmung sehr gut. Für mich ist das reine Freude. Ich möchte, dass alle genau wissen, warum sie wann etwas tun. Das Publikum ist nah dran. In einem vergleichsweise kleinen Opernhaus entgeht ihm nichts. Anders als beispielsweise auf der Seebühne sieht man ja sogar die Gesichter sehr genau.

Welches Standing hat das Opernstudio Ihrer Erfahrung nach?
Nach meinem Eindruck ist es sowohl der Festspielleitung als auch dem Publikum sehr wichtig. Ich habe die Begeisterung bei einer Vorstellung von Die Italienerin in Algier (Anm. d. Red.: der nachgeholten Opernstudio-Produktion des Vorjahres) erlebt. Das Opernstudio ist alles andere als ein Anhängsel. Es ist eine große Inspiration, junge Künstlerinnen und Künstler dabei zu erleben, wie sie sich erstmals an die schweren Brocken der Oper herantrauen.

Mit welchem Gefühl sollte das Publikum idealerweise den Theatersaal verlassen?
Am besten mit einer Art von beglückter Verwirrung. Wir sollten feststellen, wie großartig diese Welt ist und wie schnell es passiert, dass wir sie kaputtmachen. Das gilt für das fürchterlich aktuelle Thema Frieden/Krieg, die Zerstörung der Natur und das menschliche Miteinander. Wenn wir an Haydns 28 Jahre lange unglückliche Ehe und seine außer- und nachehelichen Beziehungen denken, werden uns einige Szenen der Oper plötzlich sehr verständlich. Der Mann kannte sich einfach aus.

Joseph Haydns Armida feiert am 15. August Premiere. Zwei Vorstellungen folgen am 17. und 19. August, jeweils im Theater am Kornmarkt.

Die Bregenzer Festspiele 2022 finden von 20. Juli bis 21. August statt. Tickets und Infos unter www.bregenzerfestspiele.com Telefon 0043 5574 407 6.

(tb)

28.07.2022

Jörg Lichtenstein

© Bregenzer Festspiele / Lisa Mathis
28.07.2022

Jörg Lichtenstein

© Bregenzer Festspiele / Lisa Mathis
28.07.2022

Jörg Lichtenstein

© Bregenzer Festspiele / Lisa Mathis