„Mit offenem Visier“

Bregenz, 11.8.20. Im Rahmen der Festtage präsentieren die Bregenzer Festspiele die Musiktheater-Uraufführung Impresario Dotcom. Komponistin L'ubica Čekovská, Regisseurin Elisabeth Stöppler und Librettistin Laura Olivi erzählen im Gespräch über die mitreißende Komödie und die aktuelle Probensituation. 

Die Uraufführung einer Oper ist immer ein besonderes, weil seltenes Erlebnis. Noch dazu, wenn aufgrund der Corona-Pandemie spezielle Hygiene- und Sicherheitsauflagen erforderlich sind. Was bedeutet es angesichts der gegenwärtigen Krise auch für die Opernwelt, die groteske Opera buffa Impresario Dotcom, die eben dieses Metier beleuchtet, zu inszenieren? Inwiefern geht diese Krise über die Welt der Oper hinaus?

Elisabeth Stöppler: Die Oper Impresario Dotcom erfährt in diesem „Corona-Sommer“ eine zusätzliche Verschärfung. Denn die Krise der Arbeit suchenden Sängerinnen und Sänger im Stück lässt sich aktuell auf viele real existierende Theater-Kolleginnen und -Kollegen eins zu eins übertragen. Ich empfinde es als großes Privileg, so akut auf die Situation meines Metiers theatral reagieren zu können – gerade weil diese Krise weit über die Opernwelt hinausgeht. Denn das in der Oper vorkommende komische Sänger-Panoptikum meint uns alle, spiegelt uns, die diese weltweite Krise vor existenzielle Herausforderungen stellt, wie in einem verzerrten Brennglas.

Welche Auswirkungen hatten die Corona-bedingten Änderungen auf das Konzept?

ES: Gemeinsam mit der Komponistin und Librettistin haben wir als Team in kurzer Zeit das Stück auf eine Fassung ohne Pause gestrichen und uns völlig von allen ursprünglichen bildnerischen Ideen verabschiedet. Letztlich musste ich in kurzer Probenzeit mit den zur Verfügung stehenden Mitteln inszenieren, außerdem aufgrund der Abstandsregeln jede Berührung unter den Darstellenden vermeiden. Das Ziel blieb trotz dieses strengen Rahmens, einen in sich kompletten, aussagekräftigen Opernabend auf die Bühne zu bringen. Das Stück kreist um ehrgeizige Sängerinnen und Sänger, die von Ruhm und Geld träumen. Die Chance zum Karriereschub scheint der reiche Impresario Dotcom mithilfe des Agenten Conte Lasca zu bieten.

Laura Olivi: Carlo Goldonis Der Impresario von Smyrna aus dem Jahr 1761 gab mir die Struktur der Handlung. Aber die Geschichte, die wir erzählen, ist neu, sie spielt heute. Dafür habe ich viele Sängerinnen und Sänger interviewt, um von ihren Ängsten, Wünschen, Visionen zu erfahren. Meine Figuren stellen reale Sänger dar und verkörpern zugleich berühmte Operncharaktere. Neben Conte Lasca gibt es fünf Rollen, eigenständige Personen, die sich aber mit schon existierenden Opernfiguren identifizieren, deren bekannte Arien einfließen.

Was hat es mit diesen beiden Ebenen auf sich?

L'ubica Čekovská: Die Schönheit der Arien bleibt unangetastet, wenngleich ich mit meiner musikalischen Sprache die Distanz zum Original ausdrücke. So konnte ich rhetorische Figuren und authentische Charaktere entwickeln. Meine Carmen beispielsweise entspricht nicht dem geläufigen Bild von Bizets Carmen, sondern ist sehr melancholisch.

ES: Die fünf Sängerinnen und Sänger sind sozusagen zu ihrer eigenen Maske geworden. Sie wirken unauthentisch, agieren taktisch, reagieren kalkuliert – aus Egoismus, Erfolgsdruck und Angst heraus. Hinter Orfeo, Olympia, Carmen, Violetta und Tamino stecken Individuen unserer realen Welt, die sich aber nur noch in Zitaten zu zeigen vermögen.

Goldoni war ein Meister des doppelten Spiels und der Selbstdarstellung seiner Figuren. Welche Bedeutung kommt in Impresario Dotcom den Masken in ihrer Vielfalt zu? Was verhüllen, was zeigen sie?

LC: Wir alle tragen Masken und spielen viele Rollen. In der Oper stellt sich oft die Frage: Warum bin ich hier, was will ich? Wo ist die Grenze meiner Talente und wie weit bin ich für meine Ziele bereit zu gehen? Es wird überspitzt aufgezeigt, wie wir alle überleben wollen.

LO: Das macht diese Opera buffa neben all der Komik auch tragisch.

ES: Die Masken reichen in unserer Inszenierung vom Covid-Mund-Nasen-Schutz über die Commedia-dell’arte-Halbmaske bis zum Ganzkörperkostüm. Die Maske abzulegen bedeutet, insbesondere im aktuellen pandemischen Kontext, etwas zu riskieren, sozusagen mit offenem Visier man selbst zu sein.

Wofür steht die Figur des Impresario Dotcom?

ES: Sie ist nicht von dieser Welt, sondern vielmehr ein „übermenschliches“, mehrdimensionales Prinzip, eine Dea ex Machina, welche die anderen herausfordert. Für mich steht sie für die permanente Vision, dafür, dass meistens mehr möglich ist als es scheint – und dass wir alle ständig dazu aufgefordert sind, über unseren begrenzten Horizont zu schauen, uns zu hinterfragen, uns zu verändern.

Die Fragen stellte Ingrid Lughofer.