"Larcher traut sich, auch Schönklänge zu komponieren"

Fünf Fragen an Martin Kerschbaum, Schlagwerker bei den Wiener Symphonikern

Wann er das erste Mal bei den Bregenzer Festspielen mitgewirkt hat? Bei dieser Frage kommt Martin Kerschbaum, Jahrgang 1961, ins Grübeln. Ungefähr 1978 muss es gewesen sein, damals noch als Substitut bei den Wiener Symphonikern. Fünf Jahre später wurde aus der Aushilfstätigkeit ein fixes Engagement – anfangs als Solopauker, inzwischen als Schlagwerker. Im Sommer 2024 hat er bei der Eröffnung mitgespielt, ist beim Freischütz und bei den Orchesterkonzerten der Wiener Symphoniker dabei. Im dritten und letzten dieser Konzerte am 5. August wird eine österreichische Erstaufführung zu hören sein: Love and the Fever. Ihr Komponist Thomas Larcher, Träger des Großen Österreichischen Staatspreises, feierte in Bregenz 2018 mit seiner ersten Oper Das Jagdgewehr einen großen Erfolg.

Herr Kerschbaum, mit welchen Instrumenten haben Sie es als Schlagwerker normalerweise zu tun? 
Das sind vor allem Trommel, Becken, Triangel, Marimba, Vibraphon, Xylophon, Glockenspiel, Röhrenglocken, Bongos, Congas und Tam Tam. In modernen Werken kommen oft noch weitere hinzu. Das kann ausufernd werden. Als Schlagwerker:in hat man bisweilen zehn bis zwanzig verschiedene Instrumente rund um seinen Arbeitsplatz stehen. Überspitzt gesagt: Man baut länger auf, als man spielt. Es geht dabei auch um die richtige Positionierung, damit die Instrumente überhaupt räumlich erreichbar sind und der Wechsel zwischen ihnen funktioniert.

Wie sieht das bei Love and the Fever aus?
Bei diesem Werk sind wir sechs Schlagwerker:innen. Im Einsatz sind alle Stabspiele von Marimba bis Xylophon, zwei riesige Türme mit gestimmten Glocken, Bongos und chinesische Becken, dazu Steel Drums –gestimmte Ölfässer aus der Karibik. Außerdem hängen wir unterschiedlich dicke Papiere auf und spielen mit ganz dünnen Schlägeln darauf. So entstehen sehr interessante Klänge – und nicht nur um der Klänge willen, sondern weil Thomas Larcher sich etwas Geniales ausgedacht hat. Das Werk basiert auf acht Gedichten des japanischen Dichters Miyazawa Kenji. In Japan ist Kalligrafie ein großes Thema: So erklärt sich für mich die Verwendung von Papier. Ich selbst bin sehr gespannt auf die Proben – das wird optisch und klanglich eine tolle Sache. Larcher liebt die schnellen Zweiunddreißigstel-Noten, das wird eine große technische Herausforderung für uns Musiker:innen. Aber so soll es sein!

Was ist das Besondere an Larchers Kompositionen?
Er hat seine eigene musikalische Sprache. Nicht alles ist tonal, aber auch nicht alles ist dissonant. Das ist für mich ein Alleinstellungsmerkmal. Bei ihm ist man immer neugierig, was als nächstes folgt. Er traut sich, auch Schönklänge zu komponieren. Gleichzeitig lernt man bei ihm, auch eine Dissonanz zu lieben.

Neben Love and the Fever stehen beim dritten Orchesterkonzert weitere Werke auf dem Programm. Was darf das Publikum erwarten?
Das Publikum darf sich auf eine wunderbare Mischung freuen, bei der für jeden etwas dabei ist. Los geht es mit der unglaublich frischen Ouvertüre zur Oper Euryanthe von Carl Maria von Weber. Der Titel ist vielleicht nicht jedem geläufig, die Musik aber schon. Danach spielen wir Robert Schumanns dritte Symphonie, die "Rheinische" – sozusagen ein Bestseller.

Neben Ihrer Tätigkeit als Orchestermusiker sind Sie seit über zwanzig Jahren Dirigent. Juckt es Sie manchmal in den Fingern, wenn Sie als Schlagwerker im Orchester sitzen, den Taktstock zu übernehmen?
Ja, leider ständig (lacht). Mit dem Dirigieren habe ich damals aus einer Leidenschaft heraus begonnen, um mein musikalisches Leben aufzufrischen. Es ist unglaublich schön, all die Werke, die ich als Schlagzeuger oder Solopauker kennengelernt habe, aus einer anderen Perspektive zu erleben. Zu dirigieren birgt eine ganz andere Verantwortung und ist sehr, sehr spannend. Auch in dieser Funktion erlebe ich immer wieder, dass kein Konzert zu hundert Prozent so abrufbar ist, wie es zuvor geprobt wurde: Der Moment zählt! Deshalb wird Live-Musik immer überleben.

(tb)

Das dritte Orchesterkonzert der Wiener Symphoniker findet am 5. August um 19.30 Uhr im Großen Saal des Festspielhauses statt. Am Pult steht der designierte Chefdirigent des Orchesters, Petr Popelka. Karten sind noch verfügbar: https://bregenzerfestspiele.com/de/programm/orchesterkonzerte/wiener-symphoniker-3

26.07.2024

Martin Kerschbaum (Wiener Symphoniker)

© Bregenzer Festspiele / Eva Cerv